An der Küste und auf dem Durgas Tiger Land

Ich habe jetzt anderthalb Wochen an der Küste und noch einige Tage 20 km landeinwärts am Fluss verbracht – ein ganz anderes Ecuador.

Hier baut die Gruppe, die ich mich als Gemeinschaftsberaterin eingeladen haben, ihr Projekt auf. Iris, eine Freundin von Barbara, Initiatorin und Inhaberin der „Durgas Tiger School“, einer internationalen Yogaschule, hat 42 Hektar Land gestiftet, und noch weitere 37 Hektar selber gekauft, um daraus ein blühendes, spirituelles Permakultur-Zentrum zu machen. Sie hatte eine Vision, das zu tun, und nahm das als Auftrag. Ihr Partner David hat sich nach anfänglichem Zögern voll mit begeistern lassen, ihn interessiert insbesondere das Thema „Lebensmittel-Souveränität“, als Koch und politisch Interessierter am Thema. Das Land soll mit Methoden der Permakultur bewirtschaftet werden. Es gibt hier Kakao, Bananen, offene Flächen, auf denen Mais gesät wird, Grasland, auf dem Kühe und Schafe weiden.

Die ersten 10 Tage haben wir noch in einem Hostal an der Küste verbracht, und ein Teil der Gruppe ist täglich auf’s Land gefahren, andere einkaufen oder organisatorisches erledigen. Ich war manchmal mit auf dem Land und häufig auch einfach an der Küste, zum Schreiben und Entspannen und abends haben wir in der letzten Woche täglich mit dem Gemeinschaftskompass „gearbeitet“.

Aber erstmal zur Gegend und der Situation hier:

Die Bevölkerung ist überwiegend afrikanischer Abstammung. Hier in der Gegend sind es – so sagt jedenfalls die Legende – überwiegend Menschen, die zwar von einem Sklavenschiff kamen, aber nie versklavt waren, denn das Sklavenschiff lief vor der Küste auf Grund und die Afrikaner, die dort in die Sklaverei gebracht werden sollten, retteten sich an Land und lebten seitdem frei hier in der Gegend.

Das ändert nichts an ihrem sozio-ökonomischen Status, hier sieht man noch viel stärker als in Quito oder den Touriorten, an denen ich war, welch eine Armut hier herrscht und wie einfach die Menschen leben. Aber es sieht zumindest so aus, als würden sie keinen Hunger leiden. Das Land ist einfach sehr fruchtbar, und es ist leicht, mit Lebensmitteln aus dem eigenen Garten zu leben.

Im Ort eine Mischung von Autos, Tuk-Tuks (Motorrad-Rikschas), Motorrädern und Menschen auf der Straße. Und Lastwagen, denn es ist eine der Hauptverbindungsachsen von Nord nach Süd. Es soll auch viel Drogenhandel unterwegs sein, denn es ist die Straße zwischen Kolumbien und Guayaquil. Häufige Polizeikontrollen, die aber zum Glück nie versuchten, die in Ecuador geltende Maskenpflicht im Auto durchzusetzen. Denn längst haben wir alle unsere Masken tief vergraben und vergessen, dass es so etwas wie Maskenpflicht irgendwo gibt. Wie alle Menschen hier, eine Maske zu sehen ist die absolute Ausnahme.

Wir wohnten „feudal“ die letzten Tage bis Wochen an der Küste, in einem Hostal, das wir quasi für uns alleine hatten, mit direktem Strandzugang zum kilometerlangen Strand mit viel Treibholz und Plastik, aber doch schönem Meer, wo wir morgens immer gemeinsam meditiert haben. Ich bin mindestens täglich einmal in die warmen Wellen gesprungen, sehr schön! Beim genauen Hinsehen ist das Hostal ganz schön runtergekommen, aber im Vergleich zu Durgas Tiger Land und im Vergleich zu dem Leben der Menschen, die hier fest wohnen, ist es purer Luxus.

Unser Hostal
Pool muss schon sein …. im Hintergrund das Meer

Auf dem Weg zwischen der Küste und dem Durgas Tiger Land wird’s dann noch mal „rustikaler“. Man sieht dann auf den Straßen auch mehr Pferde, als Autos.

Als ich zum ersten Mal hier auf dem Land ankam, kamen wir auf der Straße an einer sterbenden Kuh vorbei. An den nächsten Tagen haben die Geier angefangen, sich dort zu versorgen, und jetzt liegen da nur noch ein paar Knochen. Auch viel weniger Knochen als die Kuh hatte, vermutlich haben Hunde oder so auch schon einige Knochen mitgenommen. Der Kreislauf der Natur ist hier stärker spürbar und sichtbar. Gut, dass es die Geier gibt.

Nicht nur Geier, viele andere Vögel beeindrucken mich hier. Pelikane, die in langen Reihen wenige Zentimeter über dem Wasser einherfliegen. Die eleganten Fregattvögel, die ebenfalls in schönen Schwärmen fliegen. Weiße Reiher, die mit ihren gebogenen Hälsen einfach sehr schön aussehen. Möwen, natürlich. Und andere Vögel, die ich einfach nur schön finde, aber nicht identifizieren kann.

Reiher und Pelikane auf Fischerbooten

Die Menschen leben an der Küste anscheinend immer noch viel vom Fischfang. Sie haben kleine Boote mit Außenbordmotor, kleine Netze und ziehen damit vor allem frühmorgens los und fangen, was sie fangen können. Dann sitzen sie unter ihren Dächern am Strand, sortieren die Fische, nehmen sie aus, etc.

Es ist hier deutlich zu spüren, dass es dieses europäische „Ich arbeite und dann gehe ich nach Hause“ nicht gibt. Man lebt einfach in dem Moment, wo man ist. Iris ließ auch vollkommen entspannt ihr Auto direkt in der Mitte einer engen Straße stehen, um Wäsche abzuholen, und dann 15 Minuten mit den Leuten im Haus zu reden. Dass ein Liefer-LKW dadurch nicht weiterkam, störte weder den Fahrer des Liefer-LKWs noch Iris – nur mich in meiner deutschen Mentalität.

Es gibt 6-7 Menschen, die hier für das Land quasi angestellt sind, ein 5-köpfiger Familienclan aus Venezuela, die sehr engagiert und zuverlässig scheinen bis jetzt, und ein vermutlich krimineller Sohn des Vorbesitzers, der das Gelände kennt und davon ausgeht, einen Anspruch auf Arbeit hier zu haben. Das ist ein schwieriges Kapitel. Er steht in Verdacht, vor sehr kurzem organisiert zu haben, dass eine ganze Herde Kühe geklaut wurde, die auf dem Gelände hier weideten, und einem Freund von David und Iris gehörten. Nur er wusste, dass in genau dieser Nacht niemand es bemerken würde, wenn sie die Kühe durch den Fluss wegtreiben. Er war aber auch ganz zufällig genau in dieser Nacht ganz woanders und hatte daher ein Alibi.

Überhaupt, die Kriminalität, die ich nicht gesehen habe, aber die hier in allen Erzählungen rumgeistert, und auch die Gewaltbereitschaft (Im Zusammenhang mit dem Kuhdiebstahl kam es auch zu einer Morddrohung gegen denjenigen, dem die Kühe gestohlen wurden, weil er eben diesen Mann in Verdacht hatte.), erschreckt mich ein wenig. Es ist auch klar, dass man kein Auto nachts an der Straße stehen lassen kann. Man sollte lieber kein Smartphone, keinen Computer unbeobachtet rumliegen lassen im Erdgeschoss, aus dem man sehr schnell in den Dschungel verschwinden kann. Denn selbst in die Menschen, die hier zum Platz gehören, gibt es nicht das Vertrauen. Zur venezuelanischen Familie wohl schon, aber eben nicht zum Sohn des Vorbesitzers und seinen Freunden, die auch immer wieder hier sind.

Aber Iris setzt auf klare Linie und Integrieren, ihn vom Platz zu jagen und zu Feinden zu machen, würde es nicht besser machen, er kennt sich ja immer noch gut hier aus. Also besser, ihn zu Verbündeten zu haben – er ist auch so ein bisschen das schwarze Schaf der Familie, und braucht vielleicht einfach auch die Erfahrung, dass es auch anders geht als mit Kriminalität. Wir werden sehen. Aber deshalb trauen wir ihm noch lange nicht über den Weg. Es ist auch klar, dass die Gemeinschaft dieses Haus nie ganz alleine lassen werden kann – zumindest nicht über Nacht.

Marco, ein Professor für Touristik aus der nahegelegenen (naja, 90 Minuten Fahrt entfernt) Stadt Esmeraldas, der das Projekt stark unterstützt als Freund, und wie ich gestern zum „Paten“ des Projektes ernannt worden ist, zahlt auch in der Regel jemand, der auf seine Wohnung aufpasst, und sich darin aufhält, wenn er nicht da ist. Ich glaube, mit so einem Ballast würde ich nicht leben wollen. Aber für die Menschen hier ist es einfach normal.

Marco ist ein faszinierender Mensch, der die Brücke zur hiesigen Bevölkerung schlägt. Er ist im Küstenort hier aufgewachsen. Und er ist gemeinsam mit David engagiert bei „Cuisines sans frontières“, sie haben ein offizielles Ausbildungsprojekt für indigenas in Sachen Nachhaltiger Tourismus initiiert, er sichert sozusagen das offizielle Ausbildungsniveau dazu ab als Universitätsvertreter. Ich werde am Samstag mit David und Marco den langen Weg zu ihrem Ausbildungsschiff machen, und mit ihnen dann einige Tage in einem Örtchen im Dschungel sein, das man nur durch 8 Stunden Motorkanufahrt erreichen kann – dort steht ihr Ausbildungsschiff, und es ist der neue Beginn einer einjährigen Ausbildung für etwa 25 junge Menschen, meist indigenas.

Erstes Abendessen auf dem Platz

Auf Durgas Tiger Land

Vor wenigen Tagen sind wir nun von unserem Vorbereitungsquartier an der Küste auf das eigentliche „Land“ umgezogen, und es hat auch alles ganz toll geklappt – außer dass die Betten, die der Tischler vor Ort in seiner Außen-Tischlerei produziert hat, leider zu schmal für die gekauften Matratzen sind. Tolle Teak-Betten hat er produziert, sie sind richtig schön (wenn man über kleine Macken im Lack, die sofort schon da waren hinwegsieht, aber solche Macken kriegen Betten früher oder später ja sowieso), nur hat er halt mit 70 cm Matratzen gerechnet, und die gekauften Matratzen sind 80 cm.

Naja, kein Problem, bis zum nächsten Tag hatte er eine Konstruktion vorbereitet, die die Betten verbreitert, damit die Matratzen reinpassen. Improvisieren sind sie hier offensichtlich gewohnt. Ich habe mich gefreut, dass die Matratzen auf dem Boden liegen, denn ich hätte sonst vermutlich ein oberes Stockbett abgekriegt, weil die Dauerbewohner:innen die unteren Stockbetten nutzen. Jetzt bleibe ich auf dem Fußboden.

Das Haus hier, das Zuhause der Menschen des Projektes: im gleichen Stil wie die ländlichen Häuser der ärmlichen Gegend hier. Das Erdgeschoss ist Aufenthaltsraum, Werkstatt und Bad gleichzeitig. Das Bad ist ein gemauerter Raum, der Rest ist einfach offene Fläche unter dem eigentlichen Haus. Ein paar Hängematten hängen unten und einige oben – das Sofa der einfachen Südamerikaner. Es macht es gleich viel gemütlicher.

Die Küche.

Das eigentliche Haus im OG, Holzkonstruktion, die bei jedem Schritt sich mit bewegt. Ich fürchte, es würde von keinem deutschen Statiker akzeptiert werden, aber es hält – erstmal. Die Außenwände sind rohe Bretter, die jeweils natürlich Spalte dazwischen haben, von daher eine Einladung an alle Moskitos, reinzukommen und sich am Blut der Schlafenden zu laben. Dafür sind alle Betten mit Moskitonetzen gesichert.

Die derzeit 6-köpfige Initialgruppe hat zwei kleine Schlafräume mit jeweils 2 Etagenbetten (also 4 Betten) und ein Zelt auf einer Plattform für sich. Sie hoffen, dass sie als Gruppe nächste Woche auf 9 Leute anwachsen, denn da kommen drei Interessierte, die sie sehr gerne hätten, und die hoffentlich bleiben. Zu sechst ist das Projekt nicht zu stemmen, insbesondere, da zwei bis drei von den sechs auch bald wieder in ihr Heimatland müssen, um Geld zu verdienen. Also – noch alles andere als stabil, aber es gibt Hoffnung!

Trotzdem faszinierend. Iris, die Initiator:in ist eine um die 60-jährige Leiterin einer Yogalehrer-Schule, die einen sehr speziellen, schamanisch-tantrischen Ansatz verfolgt, und inzwischen ein Riesen-Netzwerk hat. Sie ist eine Freundin von Barbara, und Barbara ist übrigens auch Trainerin an dieser Yogaschule, darüber kam überhaupt mein Kontakt nach Ecuador. Sie verkörpert eine schöne Mischung aus Spiritualität und Klarheit und Sensibilität für die Menschen, die zur Gruppe gehören. Und sie hat diese Vision. Und von daher gehen sie natürlich etwas anders ran als ich mit meinen pragmatischen Ansätzen. Iris hatte diese Vision und hat den Auftrag bekommen, dieses Projekt zu starten, und um Unterstützung gebeten, und bis jetzt kam sie immer im richtigen Moment. Zwar sind jetzt weniger Leute auf dem Platz als vorher zugesagt hatten (teilweise auch CoVid-bedingt, weil Leute sich nicht impfen lassen wollen und sie alle aus allen Herren Ländern kommen), aber so haben wir ein weiteres Ritual gemacht, um die Menschen einzuladen, die das Projekt braucht. Und am Abend meldeten drei Menschen, die bis jetzt nicht klar waren, dass sie nächste Woche kommen wollen. Scheint also zu funktionieren.

Morgen-Meditation am Strand

Und so haben sie auch überlegt, dass diejenigen, die über diesen „Call“ kommen, jetzt auch einfach Vollmitglieder des Projektes sind, ohne weitere Probezeit und Beschlüsse. Ein anderer Ansatz als in den meisten Projekten, die ich begleite, wo es immer darum geht, wie die Aufnahmen beschlossen werden und wie lange eine Probezeit ist.

Wir haben gemeinsam Eckpunkte festgelegt, das war – denke ich – schon wichtig für den Prozess. Aber jetzt wird gesagt: Wer sich für ein Jahr committed und „ja“ zu den Eckpunkten sagt, ist Teil des Projektes. Spannender Ansatz.

Mich fasziniert der Glaube, dass die spirituelle Energie und die Rituale dazu führen werden, dass das Richtige passiert. Ich habe diesen Glauben, dass die Einstellung sehr entscheidend ist, in gewisser Weise auch, aber bin doch sehr stark in der „Glaube an Gott und binde Dein Pferd an!“ Variante verhaftet.

Ich setze deutlich mehr Kraft in „das Pferd anbinden“ als in die innere Ausrichtung. Die Menschen hier sind auch nicht blauäugig, sie wissen, wie wichtig es ist, sich auch um die ganz konkreten Fragen zu kümmern. Daher sind sie auch sehr froh, dass ich da bin, und wir diese Fragen gemeinsam anschauen. So haben wir zum Beispiel gemeinsam die Eckpunkte erarbeitet, und einen Finanzierungsplan entwickelt, der auch vorsieht, was die einzelnen Gemeinschaftsmitglieder einbringen müssen, und eine Zielvorgabe für eine Fundraising-Kampagne gemacht.

Iris (Deutschland), Lisa Sohee (Südkorea / USA), Kris (Schweiz), Eva (D), Raj (Indien, Großbritannien), David (Schweiz) – eine ganz schön internationale Truppe. Es fehlt auf dem Bild Maddox aus den USA und Renata aus der Schweiz.

Für den Erfolg ihres Projektes braucht es beides – diese klare spirituelle Anbindung und ihren „Draht nach oben“ und materielles Engagement und Gemeinschaftswissen. Dessen sind sie sich sehr bewusst, daher sind sie gerade sehr dankbar, dass ich mit dem Gemeinschaftskompass da bin. Ich bringe da gerade viel von meiner praktischen Erfahrung ein, und es wird sehr dankbar, wie mit einem Schwamm alles aufgesogen. Es macht mir großen Spaß, mit ihnen zu arbeiten. Auch wenn der Bereich „Individuen und Gemeinschaft“ – der mir am meisten Spaß macht – am wenigsten Aufmerksamkeit hier braucht, denn darin sind sie durch die Schulung der Durgas Tiger School schon recht gut gemeinsam ausgerichtet. Aber ich kann sehen, wie sie das, was ich ihnen vermittele, dankbar aufgreifen und ich glaube, dass es auf fruchtbaren Boden fällt. So macht das Arbeiten Spass.

Wir haben schon viel an Kerngruppe, Ausrichtung und grobem Finanzkonzept gearbeitet. Jetzt fehlt noch die Einführung in die Soziokratie. Denn das brauchen sie auch noch, klarere Entscheidungsstrukturen.

Iris ist die Initiatorin, Stifterin, und auch Ausbilderin der meisten von ihnen. Sie hat die Leute auch zusammengebracht. Es wird mit der Zeit sicher eine Herausforderung, mit der hohen Rangstellung umzugehen, aber ich traue es Iris zu – sie begibt sich bewusst in die Rolle der „Elder“, die einen hohen Rang hat, aber ist auch sehr achtsam mit der Umsetzung. Wie es wird, wenn die Gemeinschaft mal wirklich etwas anderes will als das, was ihr wichtig ist, werden wir dann sehen. Da liegt auf jeden Fall eine Gefahr für das Projekt. Und natürlich eine Chance, so tolle Menschen dabei zu haben. Und jemand, die Eldership hoffentlich auf eine Art auslebt, dass es andere empowert.

Und dann gibt es den kleinen Öko-Zensor in mir, der sagt: So eine internationale Gemeinschaft ist ja ein Garant für die Zerstörung jeglichen ökologischen Fußabdrucks. Was unterstützst Du da eigentlich mit Deinen Aktivitäten? Sie werden alle mindestens einmal jährlich auf einen anderen Kontinent fliegen, eher öfters, weil sie Großteils auch noch ihren Lebensunterhalt in einem anderen Kontinent verdienen. Sie planen, von Retreats und Workshops zu leben, für die die meisten Teilnehmenden aus einem anderen Erdteil einfliegen. Vollkommen unvertretbar für jemand, die gewohnt ist, auf den eigenen ökologischen Fußabdruck zu schauen, und die ein Projekt auch mit dieser Brille anschaut. Der Mobilitäts-Fußabdruck wird furchtbar hoch werden! All die Jahre, die ich mir interkontinentale Reisen verkniffen habe, werden mit zwei Workshops, die hier voll besetzt stattfinden, zunichte gemacht, denn dann reisen 40 Leute aus einem anderen Kontinent an!

Und dann sehe ich z.B. die venezuelanische Flüchtlingsfamilie, die hier lebt und durch sie eine Perspektive haben. Wie zählt das? Ich kann mir vorstellen, dass die Gruppe hier wirklich einen tollen Platz aufbaut, und dass dieser Platz in die Gegend ausstrahlt, die Grundenergie dieser Region etwas verändert und zu einer nachhaltigen Entwicklung beiträgt. Dass in 10 Jahren weniger Plastik durch den Fluss ins Meer treibt, dass weniger Insektizide und Herbizide in der Region verwendet werden, weil sie ein Beispiel geben hier, wie es auch anders geht und die Region damit beeinflussen. Und auch die Internationals, die hierher fliegen, werden etwas mitnehmen, und an ihren Orten umsetzen – so wie die Menschen, die zu uns kommen. Es gibt nicht nur den einen Maßstab, an dem man den Einfluss eines Projektes messen kann.

Und so beruhige ich meinen kleinen Öko-Zensor in mir und sage mir: „Ich muss nicht beurteilen, was dieses Projekt langfristig mehr zur Heilung oder zur Zerstörung dieses Planeten beiträgt. Ich kann es auch nicht beurteilen, das hat zuviele Facetten, die man nicht gegeneinander abwägen kann. Ich weiß, dass sie etwas planen, das auch viel Gutes bewirken kann. Und dass sie es aus einer Geisteshaltung heraus tun, die ich sehr schätze. Ob es wirklich dazu beiträgt, den Planeten zu heilen oder mit seinen Kollateralschäden mehr zerstört, das ich kann, muss und will ich nicht beurteilen.“

Aber die Abhängigkeit von der Fliegerei wäre für mich ganz klar ein Grund, nie hier zu leben. Aber wer weiß, vielleicht fliege ich nochmal hierher, in weniger als 30 Jahren ….