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Immer wieder begegnet es mir – in meinem eigenen Projektalltag oder in Begleitungen – dass die Atmosphäre von etwas beherrscht wird, das nicht angesprochen werden darf. Der viel zitierte „Elefant im Raum“, der von allen wahrgenommen wird, aber es scheint so schwer, damit umzugehen, dass er lieber ausgeblendet wird. Ein Ansprechen des Themas wäre viel zu gefährlich.
„Kommunikation kann schiefgehen. Nicht-Kommunikation wird schiefgehen.“ Dieses Sprichwort zeigt gerade in solchen Fällen seine Berechtigung. Der Elefant wird größer und größer – und belastet das Projektklima immer mehr. Wie damit umgehen?
Ein Artikel meiner Lieblingsautorin Julie Diamond hat hier mir vor kurzem einen guten Impuls gegeben, den ich gerne mit Euch teilen möchte.
Ein Artikel meiner Lieblingsautorin Julie Diamond hat hier mir vor kurzem einen guten Impuls gegeben, den ich gerne mit Euch teilen möchte.
Wir ignorieren häufig große, belastende Themen, weil wir fürchten, dass die Konflikte erstmal größer werden, wenn wir sie ansprechen, und auch weil uns die Werkzeuge fehlen, damit umzugehen. Julie schlägt einen konstruktiven Umgang damit vor, den sie „Framing“ (Rahmen) nennt. Um Unausgesprochenes aussprechbar zu machen, hilft es, das Ganze zu rahmen.
„Rahmen bedeutet, das Thema zu definieren, und einen sicheren Container für das Gespräch darüber zu schaffen. Ein Rahmen unterstützt Menschen darin, ihre Gedanken, Gefühle und Erfahrungen zu sortieren, und letztlich erlaubt er ihnen zu dem Thema aktiv zu werden. Wir sehen das „Framing“ als das Schweizer Messer der Leitungskompetenzen: Es ist eine der wichtigsten Fähigkeiten, die ein Leader nutzen kann, und es kann viele Probleme lösen, auch das des berühmten Elefanten im Raum.“ (übersetzt aus: „How to talk with your Team about the Elephant in the Room“, https://hbr.org/2023/01/how-to-talk-with-your-team-about-the-elephant-in-the-room, abgerufen am 23.7.23, Übersetzung von mir.)
In unserer Sozialisation haben wir gelernt, Unangenehmes möglichst zu verdrängen, eher nicht anzusprechen, weil wir ja „lieb“ sein sollen. Unangenehmes anzusprechen scheint häufig den Aufwand und die erwartete Reibung, die daraus entsteht, nicht wert. Aber das ist eine sehr oberflächliche Lösung, die langfristig dem Gruppenklima nicht dient, sondern immer größere Tabus produziert.
Die fünf Schritte zum Ansprechen des Elefanten benennt Julie wie folgt:
1.) Identifiziere Deine Sicht auf den Elefanten im Raum.
Frage Dich und Deine Intuition: Was ist der Kern der Sache? Was trägt dazu bei, dass ein Thema „festhängt“?
2.) Betrachte die Situation neugierig, vermeide vorschnelle Schlüsse!
Punkt 1.) ist die erste Idee, gibt es vielleicht noch ganz andere Erklärungen? Mach Dir deutlich, dass Deine Sichtweise nur eine Hypothese ist, dass es auch ganz andere Erklärungen geben könnte. Das trägt dazu bei, sich weniger damit zu identifizieren und schafft die nötige Offenheit für den nächsten Schritt.
3.) Erzähle den Anderen, was Du beobachtet hast, ohne zu urteilen!
Wenn Du das Thema ansprichst, sprich konkrete Beobachtungen an: „Ich sehe, …“, „Mir fällt auf, ….“, und sprich Deine mögliche Erklärung zum Kern der Sache als eine Möglichkeit an: „Vielleicht ist es so, dass ….“
4.) Was können wir lernen? Was kann ich lernen?
Um einen sicheren Raum zu schaffen, in dem schwierige Themen angesprochen werden können, kann man mit Fragen, die deutlich machen, dass man lernen und nicht verurteilen will, sehr viel Entspannung schaffen.
Wenn Themen vorwurfsvoll angesprochen werden, dann reagieren die Zuhörenden mit Selbstschutz: Ihr vegetatives Nervensystem reagiert und sie können nicht mehr zuhören. Wenn sie so gerahmt sind, dass es um einen Versuch geht, gemeinsam etwas zu lernen, dann ermöglicht dies eine konstruktive Unterhaltung über verschiedene Sichtweisen. „Ich würde gerne verstehen, warum …“ ist häufig eine gute Einleitung.
5.) Lade Andere ein, ihre Wahrheit auszusprechen.
Hier geht es ganz explizit darum, auch andere Sichtweisen einzuladen. Mit einer Frage wie: „Was denkt Ihr dazu?“ „Was kann ich da nicht sehen?“ werden die anderen Teilnehmenden ermutigt, ihre Sichtweise konstruktiv und nicht als Widerspruch einzubringen. Dies führt zu offenen Gesprächen, in denen der Elefant aus allen Seiten beleuchtet werden kann und damit ein Stück seiner Bedrohlichkeit verliert.
Diese simple Technik hilft wirklich, schwierige Themen ansprechbar zu machen. Sie sind damit noch nicht gelöst, aber sie verlieren dadurch ihre Dominanz über die Situation. Es geht hier auch noch nicht um das Lösen des Themas, sondern lediglich darum, sie aus dem Dunkel des Tabus hervorzuholen, und sie so handhabbarer und weniger bedrohlich zu machen.
Damit ist man der Lösung schon ein gutes Stückchen näher. Manchmal reicht es schon, die Themen bewusster zu machen, dass sie sich lösen. Häufig braucht es dann auch noch konkrete Verabredungen oder sachliche Lösungen. Der Weg dorthin ist jedoch nach einer derartigen Aussprache meist deutlich leichter.