Mashpi

Drei Stunden Fahrt von Quito. 2 Stunden auf engen Straßen, die sich erst die Kordilleren hoch schlängeln und dann wieder runter, Richtung Pazifik. Uns kommen Trucks entgegen, wie ich sie aus den 80er Jahren in den USA kenne. Vor uns überholt ein Bus in einer Kamikaze-Aktion einen dieser Trucks auf ungefähr 100 m gerade Strecke vor der nächsten Kurve.

Der Regenwald begrüßt uns mit Regen und Nebel. Angeblich ist das das Wetter, das meistens vorherrscht. Ich finde es gerade trostlos. Ich hatte mich auf Sonne und Wärme und schöne Blumen gefreut. Naja. Aber eigentlich sagt der Name schon alles: Regenwald.

Das letzte Städtchen: San Miguel de Los Blancos sieht schon abenteuerlich aus.

Los Blancos

Sehr runtergekommen, dreckig, ein bißchen Wildwest, noch deutlich anders als ich es bis jetzt in Quito oder in den kleinen Orten in der Sierra gesehen habe. Noch ärmer. Hier gibt es keinen Tourismus. Von diesem Städtchen aus geht es noch eine dreiviertel Stunde durch Wald und landwirtschaftlich genutzte Flächen erst über eine asphaltierte Straße, dann über eine unbefestigte Straße weiter, immer am Fluss Mashpi entlang.

Angekommen im Centro Bosque Escuela Pambilino wird es gerade dunkel. Uns erwartet ein Freiwilliger, der uns unser Zimmer zeigt, Gruppenschlafraum mit Moskitonetz vor dem Fenster. Der „Raum“, in dem wir uns treffen, ist untendrunter, ein offener, überdachter Platz, es gibt ein dreckiges Whiteboard, von dem sich die alten Einträge auch mit Alkohol nicht mehr abwischen lassen, sonst nix. Auch kein Internet.

Hmm … ich hatte mich zu einem Webinar am Sonntag frühmorgens hiesiger Zeit angemeldet. Wird wohl nix.

Leider gibt es auch keinen Drucker, um das auszudrucken, was ausgedruckt werden sollte, keine funktionierenden Whiteboardstifte, kaum Papier. Dabei ist das hier ein Ort, an dem Permakultur-Kurse stattfinden, und sehr viele Schüler für Wald-Schule kommen. Aber es gab ja selbst in der preisgekrönten Yogaschule keine Moderationsausrüstung – Ich lerne so langsam, dass man hier halt keine deutschen Standards erwarten kann. Mich daran zu gewöhnen, fällt mir schwerer als mich an einen Gruppenschlafraum mit Moskitonetzen statt Glas an den Fenstern zu gewöhnen. Für meine Arbeit bin ich gerne gut ausgestattet.

Zum Essen müssen wir ein Stückchen spazieren, durch den Regen durch den dunklen Regenwald. Wir bekommen dafür Gummistiefel angeboten, was sich auch als absolut not-wendig herausstellt. Christian führt uns, es kommt mit vor wie 20 Minuten durch den Wald, Zikaden zirpen, Frösche quaken, Wasser sprudelt, und noch andere Töne, die ich nicht identifizieren kann. Sehen tun wir nichts. Mehrere Brücken sind zu überqueren, die man nur alleine überqueren darf, sonst brechen sie vielleicht zusammen. Dann sind wir auf einmal an einem Haus, in dem für uns gekocht wurde, offentlich bei Nachbarn, die die Aufgabe bekommen haben, uns zu versorgen. Afroecuadorianer. Es gibt leckeres Gemüse – vor allem Aubergine, aber auch anderes, mit Reis. Lecker, und irgendwie seltsam, wir sitzen gefühlt irgendwo mitten im Wald auf der Terrasse von wildfremden Leuten und essen, was sie uns gekocht haben.

Beim Rückweg ist unser Führer schon im nächsten Haus, das aber halt irgendwo anders in diesem Wald ist, nur 200 m weg, aber in dieser bergigen und waldigen Gegend ist davon nichts zu sehen. Wir haben Mühe den Weg zu finden, und etwas Sorge, uns im Regenwald zu verlaufen. Daniel läuft nochmal zurück, um sich zu erkundigen, wie genau der Weg ist. Mit den Infos finden wir zum Glück doch noch Christian, der uns sicher nach Hause führt.

Zu meinem Workshop: 6 waren angemeldet, am Ende waren es doch 11 Leute, die teilnahmen. Das hat mich gefreut. Es waren 5 Leute aus dem Umfeld von Mashpi und 6 aus Quito da. Sehr unterschiedliche Leute.

iSeminarraum in Mashpi – mit dem schönsten Redestab aller Zeiten, einem „Baston del Emperador“

Ein kolumbianischer Ingenieur, der aussteigen möchte, ein ecuadorianischer Verschwörungstheoretiker, der überall böse Pläne sieht, eine Ecuadorianerin in meinem Alter, die unbedingt gemeinschaftlich leben will, etwas esoterisch angehaucht, aber auch sehr offen ist. Sie hat einen jüngeren Mann mitgebracht, den ich nicht genau einordnen kann, und dann ist noch jemand da, der auch professionell irgendwas mit Gemeinschaftsbegleitung macht, leider war die Zeit zu kurz, um genau rauszubekommen, was er macht. Er macht irgendwas mit partizipativen Prozessen in Ecuador. Und Piedad als diejenige, die es organisiert hat.

Und dann die Mashpi – Leute: 3 vom Pambilino, das Besitzerpaar und der Freiwillige Christian. Und noch zwei Frauen aus der Nachbarschaft, denn es gibt hier ein funktionierendes Netzwerk von alternativ denkenden Menschen, die sich rund um Mashpi angesiedelt haben, und die explizit auch eingeladen waren.

Ich habe in den Kompass eingeführt, dabei viele Fragen beantwortet, die Einführung war viel länger als ich sie sonst mache. Dann Einzelarbeit und Austausch, und ein kurzer Input, wofür man den Kompass gebrauchen kann.

Nachmittags frage ich, was sie am meisten interessiert, das sind Werkzeuge zum Thema Gemeinschaft.

So mach ich dazu eine kurze Einführung, insbesondere in die Haltungsfrage. Und dann mit ihnen Zwiegespräche zu einigen „tiefen“ Fragen und Minutenforum. Beides kommt gut an.

Minutenforum

Dann ist der Tag auch schon um, und ich falle todmüde in mein Bett.

Abends kommen die beiden deutschen Freiwilligen, an die wegen Visumsfragen in Quito waren. Xenia ist verzweifelt, sie ist illegal hier, weil sie ihr Visum nicht rechtzeitig verlängert hat. Und sie kriegt es nicht geklärt. Sie verbringt gerade eigentlich die ganze Zeit am Telefon, und kriegt immer nur schlechte Nachrichten. Auch die deutsche Botschaft kann da nicht unterstützen.

Die Freiwilligen und ich teilen in den nächsten Tagen eine Küche, kochen und essen zusammen.

Während des Workshops hat eine Frau aus dem Dorf für uns gekocht, und es gab 100% lokales Essen, mit Kochbananen, Avocados, Fladen aus Yucca und Mais, Palmherzen und anderen Köstlichkeiten.

Mittagessen

Am nächsten Tag laufe ich mit Mare, einer der Besitzerinnen des Platzes, ins Dorf Mashpi, das 500 m entfernt ist. Es ist ein Mini-Dorf mit unbefestigten Straßen, 30 Häusern, zwei kleinen Lädchen, einem Camping comunitario, einer playa comunitaria, einer Schule und dem Fluss Mashpi. Eine Tarabita sorgt dafür, dass ein alter Mann zu seinem Garten kommt, der jenseits des Flusses ist. Tarabitas habe ich in Banos schon als traditionelle Flussüberquerungen kennengelernt, die aber dort jetzt in erster Linie Touristenattraktionen sind. Hier dient sie wirklich als Brückenersatz.

Man setzt sich hinein, und zieht sich und das „Kästchen“ an dem Seil auf die andere Seite – das ist eine Tarabita.

Mich beeindruckt, wieviele gemeinschaftliche Initiativen es in diesem Dorf – und in vielen anderen Dörfern, in denen ich kurz war – gibt. Turismo comunitario war anscheinend ein recht erfolgreiches Projekt der Tourismuszusammenarbeit, teilweise auch von der deutschen GIZ gefördert. Die ländlichen Gemeinden in Ecuador haben recht großes Selbstbestimmungsrecht, und das stärkt tatsächlich auch das Selbstbewusstsein und die Initiative in diesen kleinen Dörfern.

Mare zeigt mir die Schule – die ist eine Wucht! Sie haben sich dafür engagiert, dass diese Schule eine Vorzeigeschule wird – sehr stark inspiriert von Montessori und Wild-Pädagogik. Gestaltete Umgebung mit ganz vielen Lernanreizen. Das Schultor wunderschön künstlerisch gestaltet – von Christian, dem Freiwilligen, der auch Künstler ist. Er hat ein Projekt mit den Kindern gemacht, sie mit einbezogen in die Auswahl der Motive, und auch in die Arbeit. Richtig toll!

Spanisch und Mathe-Raum
Kreativ-Raum
Der von Christian mit den Kindern bemalte Eingang zur Schule – die Natur rund um Mashpi zu vier Tageszeiten.

In dieser – ganz normalen Staats- Schule in einem Kaff in Ecuador gibt es ein Angebot, von der viele bei uns nur träumen können, in der die Kinder in Kontakt mit der Natur gebracht werden, in der den Kindern viel zugetraut wird, und ihre Potentialentfaltung gestärkt wird. Ich bin echt beeindruckt.

Mare erzählt, dass das Dorf Mashpi kein gewachsenes Dorf ist, sondern von „Colonos“ bewohnt. So wie die Kolonisten z.B. im Oderbruch, aber erst vor 50 Jahren besiedelt, nicht vor zweihundert. Da hat der Ecuadorianische Staat Leute gesucht, die dort siedeln, und ihnen jeweils ein Stückchen Land angeboten. Das haben vor allem Afroecuadorianier genutzt, die jetzt dort wohnen. Im Wesentlichen sind das wohl vier Familien, die sich vermehrt haben.Um das Dorf drumherum, auf den ländlicheren Stücken, haben sich einige Alternative, wie Mare und Oliver angesiedelt, die ein loses Netzwerk auch mit dem bestehenden Dorf bilden. Die Nachbarfarm ist eine super-ökologische Schokoladenfarm, die alles vom Setzen der Kakao-Sträucher bis zur Schokoladenproduktion und Verpackung selber machen. Und der Kakao wird in Agroforst-Systemen angebaut, gemischt mit anderen essbaren Früchten. Ich habe natürlich Schokolade dort gekauft, 2,50 Dollars für 50 g Schokolade, ein stolzer Preis für Ecuador, aber es war wirklich sehr, sehr lecker. Dafür hat mir die Frau auch alles erklärt, wie sie es machen, wie sie darauf achten, dass es wirklich der beste Kakao ist, der zwar nicht so ertragreich, aber dafür aromatischer ist, wie die Kakaobohnen in der Sonne trocknen, aber nicht zu schnell, und wie sie dann nach und nach daraus Kakaopaste machen, und aus dieser dann die Schokolade, mit den anderen Früchten, die auch in dem Waldgarten wachsen.

Ein Permakulturzentrum gibt es auch noch, und diverse andere kleine Initiativen.

Die Dorfgemeinschaft sowohl mit den „normalen“ wie mit den „alternativen“ Zugezogenen ist das Gemeinschaftsprojekt, auf das sich Mare und Oliver konzentrieren – auch wenn ihnen ihre Privatsphäre in ihrem Häuschen im Wald am Hang sehr wichtig ist. Ich finde das ziemlich beeindruckend, was hier passiert. Piedad, die mein Seminar organisiert hat, übrigens auch. Sie organisiert dort immer wieder Kurse, auch um diese Bewegung zu stärken. Demnächst ein Soziokratie-Kurs und ein Dragon Dreaming Kurs. Die Inhalte, die alle Initiativen in GEN irgendwie interessant finden. Freut mich, dass ich da auch dazugehöre.

Ich bin immer wieder beeindruckt von der Flora hier – und ab und zu erhasche ich auch einen Blick auf Tiere, die ich nicht kenne. Viele Blumen, mit so dicken Blütenblättern, dass sie aussehen wie künstlich. Bäume mit Blättern, die größer sind als ich. Bromelien noch und nöcher. Früchte, die ich nicht kenne. Kakao wächst hier jedenfalls auch. Mangos, Avocados und vieles andere ebenfalls. Einen Tucan habe ich gesehen, viele Kolibris, auch Guatusos, die so ähnlich wie Murmeltiere aussehen, Schildkröten leider nicht, obwohl es angeblich viele gibt, die vor allem aber abends in der Dunkelheit rauskommen (Siehe auf dem Bild an der Schule!) Fotos habe ich nur von den Pflanzen, die waren nicht so schnell verschwunden wie die Tiere.

Riesige Blüten und Früchte … die lilanen bananenförmigen Früchte sind auch fast so groß wie unsere Bananen, damit kann man sich vorstellen, wie riesig die Blüte ist.

Nach vier Tagen dort in Mashpi ging’s dann weiter, erst per MFG, dann mit vier verschiedenen Bussen Richtung Küste, zu dem Projekt von Iris und David. Sie bereiten sich gerade in einem Hotel direkt am Pazifikstrand auf den Umzug auf ihr Gelände etwa 20 km landeinwärts am Fluss vor. Dort muss noch viel eingerichtet werden, viel Arbeit für alle Beteiligten. Wenn sie nächste Woche dorthin ziehen, mache ich mit ihnen einen Gemeinschaftskompass-Workshop dort. Das war der Anlass, nach Ecuador zu fahren, dass sie mich so gerne haben wollten.

Erstmal genieße ich hier die Wärme und den Strand vor der Haustür, die morgendlichen Meditationen am Strand mit der Gruppe, die das Projekt macht, und habe ein paar ruhige Tage zum Verdauen aller Erlebnisse und zum Schreiben an meinem Buch. Von Durgas Tiger Land berichte ich dann im nächsten Blog.