Auf der Themenliste, die ich von Projekten bekomme, die mich zur Prozessbegleitung einladen, steht ein Thema ganz besonders häufig: Die Arbeitslast! Es gibt zuviel Arbeit, und zuwenig Menschen, die sich dafür engagieren. Was tun?
Häufig erhoffen sich die Gruppen, dass wir festlegen, dass jede:r eine bestimmte Anzahl Stunden arbeiten muss, und dass so die Arbeit gerechter verteilt wird, und sich die Lage damit entspannt. Ich muss die Gruppen dann enttäuschen: Das ist in den seltensten Fällen der Fall!
In meine Erfahrung schafft eine Gruppe am meisten, wenn die Menschen freiwillig und hochmotivert bei der Sache sind, nicht wenn sie Pflichtstunden abarbeiten.
Allerdings: Es ist für die Kommunikation mit Projektinteressierten in einer arbeitsreichen Phase wichtig, zu kommunizieren, dass ein Projekt Menschen braucht, die sich aktiv einbringen. Auch wenn Inklusion was Tolles ist – in manchen Phasen sollte ein Projekt bewusst nur Menschen einzuladen, die die Kapazität haben, sich zu engagieren. Hierfür kann es hilfreich sein, zu kommunizieren, wieviel Arbeit von den Beteiligten erwartet wird. Reichen wenige Stunden im Monat oder sind es eher viele Stunden pro Woche? Dagegen ist es selten sinnvoll, im Projektalltag viel Zeit damit zu verbringen, herauszufinden, ob jede:r genug gearbeitet hat und sich das gegenseitig vorzuhalten. Das führt nur zu Frust und Demotivation.
Aber wie dann das Thema lösen, dass der Berg, der vor den Projekten liegt, so groß ist? Dafür gibt es kein Patentrezept und doch ein paar Denkanstöße:
1. Was ist wirklich not-wendig? Priorisieren von wirklich not-wendigen Aufgaben, und absichern, dass die erledigt werden. Das bedeutet leider auch ein Zurückstellen mancher schönen Aufgaben, die Menschen gerne machen, aber ohne die das Projekt sich trotzdem weiterentwickeln könnte. Gleichzeitig ist es wichtig, Menschen die Möglichkeit zu geben, das zu tun, wofür sie von ganzem Herzen brennen.
Die Verabredung, dass jede Person für eine dieser not-wendigen, und vielleicht weniger attraktiven Aufgaben Verantwortung übernimmt, kann hier hilfreich sein. Für diese Priorisierung der not-wendigen Arbeiten habe ich in meinem Praxishandbuch „Gemeinsam die Welt verändern – aber wie?“ ein Werkzeug vorgestellt: Pflicht oder Kür?
Verantwortungsübernahme für bestimmte Themen ist dabei sehr viel motivierender als Pflichtstunden festzulegen. Denn dann ist klar, es geht um die Sache, um eine wichtige Sache, nicht um das „Abarbeiten“ von Stunden. Und: einer Gruppe hilft es häufig mehr, wenn jemand Kompetentes eine Stunde seiner / ihrer Zeit in etwas steckt, als wenn 3 Menschen mit wenig Erfahrung sich stundenlang daran versuchen.
2. Begeisterung und Motivation ist kann mehr erreichen als Pflicht! Was kann die Motivation stärken?
Auch wenn ich in Punkt 1 dafür plädiert habe, dass es sinnvoll sein kann, dass jede Person eine der wirklich not-wendigen und weniger attraktiven Aufgaben übernimmt, ist meine tiefe Überzeugung, dass Projekte eher gelingen, wenn jede Person möglichst genau das tut, wofür sie sich auch begeistern kann. Dazu gehört, dass es ein selbstgewählter Bereich ist, mit dem sie sich identifizieren können, und es gehört auch dazu, dass die Menschen in ihrem Aufgabenbereich einen wirklichen Entscheidungsspielraum haben, und nicht nur Arbeiten für das Projekt erledigen, sondern auch ihren eigenen Stil einbringen dürfen.
Auch hilft es, den größeren Kontext der Aufgaben zu sehen – das trägt dazu bei, auch langweiligen Aufgaben etwas abzugewinnen, weil das große Ziel Motivation sein kann, auch unangenehme Aufgaben zu erledigen.
3. Wieviel Abstimmungsbedarf ist not-wendig? Gerade Initiativgruppen verbringen häufig sehr viel Zeit in Diskussionen, um alle mitzunehmen. Bei manchen Entscheidungen muss es sein, bei anderen wäre es vollkommen ausreichend, wenn eine wirklich kompetente Person – oder eine kleine Kleingruppe – die Entscheidung einfach trifft. Dies spart enorm viel Arbeitszeit, denn ein zweistündiges Plenumstreffen mit 20 Menschen entspricht schon einer Vollzeit-Arbeitswoche. Was in diesen 40 Stunden alles getan werden könnte!
Und gleichzeitig sorgt es dafür, dass der häufigste Burn-Out-Grund in gemeinschaftlichen Initiativen seltener eintritt: Häufig sind Menschen frustriert, die viel Arbeitskraft in gute Lösungen für ihr Projekt investiert haben, weil andere diese Lösung blockieren, weil ihnen eine andere, ebenfalls gute Lösung besser gefällt.
Für eine Delegation von Entscheidungskompetenz ist eine wichtige Voraussetzung, dass die Verantwortlichkeiten so verteilt sind, dass Menschen die Kompetenz für ihre Aufgabe und das Vertrauen der Gruppe haben. Wichtig ist auch, dass die gemeinsamen Ziele klar sind, damit die Einzelnen sich für diese ziele einsetzen können. Die Soziokratie liefert hier viele wichtige Hinweise, wie eine Organisation sinnvoll aufgestellt werden kann. Der Arbeitsaufwand hierfür lohnt sich meines Erachtens immer!
Wenn diese drei Hinweise in die Tat umgesetzt werden, kann der Berg an Aufgaben häufig auch mit den vorhandenen Menschen abgearbeitet werden. Wenn auch dies nicht gelingt, ist das Projekt vielleicht zu groß für die Gruppe. Dann braucht es entweder weitere engagierte Menschen oder ein Abspecken des Projektes.