Die Quellen-Prinzipien

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Die Quellen-Prinzipien von Peter Koenig weist auf einen ganz besonderen strukturellen Rang in jeder Initiative hin, den er die Quelle nennt.

Was ist eine Quelle? Jede menschliche Initiative hat einen Ursprung in der Aktion eines Menschen, der ein Wagnis eingeht. Dieser Mensch hat in der Initiative eine besondere Stellung und ist die Quelle (engl. Source) oder Quellenperson der Initiative. Es gibt für jede Initiative eine Ur-Quelle. Diese hat eine ganz besondere Rolle in der Initiative. Und es gibt häufig neben der Ur-Quelle zur gesamten Initiative noch viele weitere Quellen in einem Projekt: Jede Person, die die Idee für ein Teilprojekt hat, und dieses initiiert und dafür Verantwortung übernimmt, wird dadurch zur Quelle. So entsteht eine (zeitliche) Ordnung von Quellen, abhängig von den Handlungen der jeweiligen Menschen.

Die Bedeutung der Quelle

Koenigs Kernthese ist folgende: Wenn wir diese Ordnung der Quellen in unseren Initiativen berücksichtigen und wertschätzen, entwickeln sich diese kraftvoll und fokussiert. Wenn diese Ordnung der Quelle nicht respektiert wird, dann führt dies immer zu Spannungen und einer Schwächung der Initiative. Die Quellen-Prinzipien erklärt damit viele meiner Erfahrungen in der Begleitung von gemeinschaftlichen Initiativen.

„Even in instances where shared ownership is declared because “we” had the idea together, closer investigation of the path of creation will always lead back to one particular person. This person, who has the role of Source, has an energetic connection to the endeavour, quite unlike any other member of the organization or team. The Source is not simply the person who had the idea, but who took the first risk and invested energy into the realization of the idea. As a result, the Source has an intuitive knowing about what the next steps are and will have strong reactions, sometimes viscerally, if this intuitive “knowing” is not honoured. The “Gestalt” (the visible, external form of something, what it “ought to look like”) can be sensed by the Source, even if others sometimes have more accurate language to describe it. The effects of the importance of recognition of Source can be witnessed whenever the Source is not acknowledged; power struggles emerge and tension is tangible for everyone involved. The recognition of Source will lead to an ease of flow in processes and decrease the potential for conflict.“

Blog von Nadjeschda Taranczewski via Medium

„Selbst in Momenten, in denen behauptet wird, es gäbe einen gemeinsamen Entwicklungsimpuls, weil „wir“ die Idee zusammen hatten, wird bei genauerer Betrachtung des Gründungsprozesses die Spur stets auf eine einzelne Person zurückzuführen sein. Diese Person, die die Rolle der Quelle hat, hat eine energetische Verbindung zu dem Vorhaben, anders als die Verbindung jedes anderen Mitglieds der Organisation oder des Teams. Die Quelle ist nicht einfach die Person, die die Idee hatte, sondern die Person, die das erste Risiko auf sich nahm und Energie in die Realisierung der Idee gesteckt hat. Daher hat die Quelle ein intuitives Verständnis dafür, was die nächsten Schritte sind und wird sehr heftig reagieren, manchmal sehr emotional, wenn dieses intuitie Wissen nicht gewürdigt wird. Die Quelle kann die Gestalt (die sichtbare, externe Form etwas, das, „wie es aussehen müsste“) eines Projektes erspüren, auch wenn andere sie manchmal akkurater beschreiben können. Die Effekte der Bedeutsamkeit der Beachtung der Quelle können immer dann beobachtet werden, wenn die Quelle nicht anerkannt wird. Dann beginnen Macht-Konflikte und die Spannung ist für alle Involvierten mit Händen greifbar. Die Beachtung der Energie der Quelle wird zu einem leichteren Fluss der Prozesse führen und das Potential für Konflikt verkleinern.“ (Übersetzung von der Autorin)

Dieser Ansatz entspricht vielen Erfahrungen, die ich in Begleitungen von Projekten und Initiativen gemacht habe. Die Initiator:innen haben eine sehr besondere Rolle, und wenn diese nicht respektiert wird, entstehen viele Spannungen.

Aber wie passt das mit meiner Ethik für gemeinschaftliche Projektentwicklung zusammen, in der mir wichtig ist, dass die Initiativen bewusst gemeinschaftlich getragen werden, und dass Machtpositionen, wenn sie vergeben werden, auch kontrollierbar sein müssen und entzogen werden können? Laut Koenig ist die Rolle der Quelle gesetzt. Sie hat dauerhaft die Aufgabe, über die Gestalt der Initiative zu wachen. Die Rolle der Quelle kann nicht von anderen entzogen werden.

Quellen zwischen Top-Down und Buttom-Up

Die Quellen-Prinzipien erklären die Entwicklung von Initiativen und die verschiedenen Rollen darin wie folgt:

Eine Ur-Quelle macht den ersten Schritt, eine Initiative entsteht. Sie erzeugt durch ihre Tätigkeiten ein kreatives Feld, das auf andere Menschen anziehend wirkt. Menschen werden Teil dieser Initiative und bringen ihre eigenen Fähigkeiten als Sub-Quellen ein, indem sie den ersten Schritt für einen Teilbereich der Initiative machen, die sich allerdings konkret auf die globale Quelle und das entstandene kreative Feld bezieht.

Es ist die Aufgabe einer Quelle, die Ränder des kreativen Felds zu beschützen, damit die Initiative sich nicht verwässert oder zerfasert. Die Quelle soll engagiert Einfluss zu nehmen auf die Ausrichtung der Initiative. Dies bedeutet jedoch keine Top-Down-Organisation und keine starke Machtstellung. Denn gleichzeitig ist die Quelle eingeladen, Kontrolle abzugeben, damit alle Beteiligten in vollem Maße ihre (Quellen-)Verantwortung für ihre Teile der Initiative übernehmen können. Erst wenn Sub-Quellen ebenfalls ihre Autonomie entfalten können, können Projekte sich wirklich entfalten.

Es gibt zwei Prinzipien, die der Arbeit mit Quellen zugrunde liegen:

Primatsprinzip der Ur-Quelle: Eine Ur-Quelle hat in einer Gruppe einen besonderen Platz durch die besonderen Aufgaben und Möglichkeiten, die ihr als Quelle zukommen. Das Primat besteht in der Anerkennung dieser einzigartigen Rolle im Dienste des Projekts durch alle, einschließlich der Quelle selbst. Die Quelle selbst stellt sich ebenfalls in den Dienst der Idee. Sie ist nicht Herrscherin der Initiative, sie darf nicht ihre persönlichen Interessen über die der Idee stellen, sondern sie stellt sich mit ihrem ganzen Sein in den Dienst der Idee.

Äquivalenzprinzip: Jede:r Mensch hat die Möglichkeit zur Quelle zu werden und alle Beteiligten haben damit den gleichen Wert und die gleiche Möglichkeit der Einflussnahme.

Widersprechen sich diese beiden Prinzipien nicht?

Ob sie sich widersprechen, hängt stark am psychologischen Rang der Quelle, an ihrem Umgang mit ihrer Rolle und der Kultur der Gruppe. Eine Quelle gibt eine Richtung vor, und das darf sie als Initiativkraft. Sie darf dabei nicht in „Macht über“ andere verfallen – dafür braucht es ein hohes Rangbewusstsein. Und es braucht eine Offenheit der Quelle dafür, dass auch sie selbst nicht allwissend ist.

Wissen Quellen immer, was gut für die Initiative ist?

An dieser Stelle beginnt mein Zweifeln an den Quellen-Prinzipien. Ich habe an vielen Beispielen die Bedeutung der Gründungspersonen für Initiativen erlebt, und teile die Ansicht, dass der Rang, Quelle einer Initiative zu sein, ein ganz wesentlicher struktureller Rang ist, der auch Respekt und sehr bewussten Umgang braucht.

Das wesentlichste Postulat der Quellen-Prinzipien ist jedoch sehr absolut: „Die Rolle der Quelle muss beachtet werden. Wenn die Quelle nicht anerkannt wird, entstehen Konflikte und das Projekt kann nicht ins Fließen kommen. Die Aufgabe der Quelle ist es, Hüter:in des Gründungsimpulses zu sein. Sie steckt den Rahmen der Initiative ab, und betreibt Fürsorge für das Projekt, indem sie die Ränder des kreativen Felds beschützt, damit die Initiative nicht verwässert oder zerfasert.“

Hier komme ich ins Zweifeln. Ist das wirklich immer so? Der zweite Satz entspricht meinen Erfahrungen: Wenn die Quelle nicht anerkannt wird, entstehen Konflikte und das Projekt kommt ins Stocken. Aber ist nicht genau das manchmal auch nötig? In der Geschichte meines eigenen Projektes habe ich ein Beispiel für einen derartigen Prozess überliefert bekommen.

Quellen-Geschichte des Ökodorfs Sieben Linden

Der Initialfunken zum Ökodorf Sieben Linden, dem Projekt, in dem ich seit 31 Jahren lebe, kam von einem Heidelberger Psychologen. Er wollte ein „selbstversorgtes, ökologisches Dorf“ für etwa 300 Menschen aufbauen. Schnell fand er scheinbar Gleichgesinnte, die seinen Traum teilten. In den ersten Jahren gemeinsamer Projektentwicklung fiel aber dann doch auf, dass es unterschiedliche Träume waren. Der Traum der Ur-Quelle schien zu extrem, um ihn umzusetzen. Es ging hier um radikale Selbstversorgung um jeden Preis. Die Gruppe entschied sich für ein Konzept, das nicht mehr radikale Selbstversorgung anstrebte, sondern ein abgemildertes Ziel von Nachhaltigkeit mit Selbstversorgung, da wo es sinnvoll und möglich ist, verfolgte. Im Zuge dieses Prozesses gab es viele schmerzhafte Auseinandersetzungen und er trat 1992 aus dem Projekt aus, bevor es zum ersten Mal konkret wurde. Die Initiative stand ohne ihre Quelle da, es war kein ganz leichter Übergang. Eine der Personen, die die Auseinandersetzung mit dem Initiator initiiert hatte, übernahm dann die Rolle einer neuen Quelle.

25 Jahre später, die 20-Jahresfeier des eigentlichen Ökodorfs. Der Initiator war eingeladen und kam erstmals in das Projekt, zu dem er den ersten Funken gegeben hatte, und dass sich doch so anders entwickelt hatte, als er es gewollt hätte. Viele spürten, was für ein besonderer Moment dies war. Wir stellten uns in der Reihenfolge auf, in der wir in Kontakt mit dem Projekt kamen, und er stand ganz vorne. Er wurde dafür gewürdigt, diesen Impuls gegeben zu haben, wir dankten ihm auch, dass er losgelassen hat, und zugelassen hat, dass seine Initiative sich anders entwickeln durfte als es sein ursprüngliches Bild war. An diesem Tag war zu spüren, was für eine Entspannung dieser Moment ins gesamte Feld brachte!

Diese Geschichte des Projektes, in dem ich seit 1993 lebe und arbeite, erklärt vielleicht, warum ich den Quellen-Prinzipien zwiespältig gegenüber stehe: Ich finde es sehr wichtig, es erklärt vieles, was ich erlebt habe und ich kann den Prinzipien in ihrer Absolutheit nicht folgen. Das Ökodorf Sieben Linden wäre nicht das Ökodorf Sieben Linden, wenn nicht die Quelle das Projekt ganz verlassen hätte. Ich wäre sicher nicht eingestiegen in das Projekt, für das die Ur-Quelle stand. Mein Traum war nie die Selbstversorgung als Selbstzweck und um jeden Preis, sondern ökologisches Gemeinschaftsleben. Von daher bin ich dankbar, dass dieser schmerzhafte Schritt passiert ist, und so ein Projekt entstand, in das ich dann einsteigen konnte. Hier ist die Ur-Quelle nicht in ihrer Rolle respektiert worden, und es wurde erst dadurch zu dem Projekt, das ich liebe.

Gleichzeitig habe ich gespürt, welche Bedeutung diese Quelle trotzdem für Sieben Linden hat, und dass der schmerzhafte Abschied von der Quelle das Projekt jahrelang Kraft gekostet hat. Die enorme Bedeutung der Quelle kann ich gut nachvollziehen. Das Postulat von Koenig, dass die Quelle immer weiß, was am besten für die Realisierung der Initiative ist, teile ich aufgrund dieser Erfahrung nicht.

Koenig entwickelte diese Prinzipien aus der Workshops mit Unternehmern, in denen sie gemeinsam nach Prinzipien geforscht haben, was dazu beigetragen hat, dass ihre Unternehmen erfolgreich wurden. Diese Herkunft zeigt auch auf, warum dieses – aus der Geschichte von erfolgreichen Unternehmen entwickelte – Modell nicht zu 100% für die Zielgruppe dieses Buches (Initiativen, die einen Anspruch an die Gleichberechtigung aller Teilnehmenden haben) zutrifft. Es trifft vermutlich auch nicht für alle Unternehmen zu, denn die Unternehmen, die aufgrund von unrealistischen Gründungsimpulsen gegründet wurden, und daran gescheitert sind, hat Koenig nicht erforscht. Trotzdem ist es für alle Initiativen spannend, die Quellenprinzipien zu kennen, weil es wichtige energetische Prinzipien aufzeigt.

Ich kann für mich – und vielleicht auch für andere Menschen, die skeptisch gegenüber unumstößlich festgelegten Hierarchien sind – eine Brücke im Zugang zur Quellenprinzip finden, wenn ich sie mit den Ordnungen vergleiche, die beispielsweise in den Systemischen Aufstellungen nach B. Hellinger herausgearbeitet werden. In diesem Ansatz wird ebenfalls postuliert, dass es in Familiensystemen eine ganz klare Ordnung gibt, die zu Wohlbefinden und Gedeihen beiträgt, wenn sie respektiert wird. Das zeigt die empirische Erfahrung aus ganz vielen Aufstellungen, ich habe diese Erfahrung selber in vielen Aufstellungen gemacht. Es befriedet etwas im System, wenn diese Rollen in Aufstellungen in der entsprechenden Ordnung auftreten. Und doch ist in meinen Augen nicht festgelegt, dass man diese Ordnung im Leben immer respektieren muss. Es gibt auch bei Familienaufstellungen Umstände und Situationen, in denen ein Weg, der die Eltern würdigt, aber dann doch ganz bewusst verabschiedet, der sinnvollste und beste Weg ist. Ein derartiger Weg wird immer auch mit Schmerzen verbunden sein – aber das bedeutet nicht, dass er falsch sein muss.

Das gleiche gilt in meinen Augen auch für die Quelle. Nicht immer ist es der einzig richtige Weg einer Initiative, der Quelle zu folgen. Manchmal ist die Rolle der Quelle einen Impuls zu geben und es ist gut und wichtig, sich an einem späteren Zeitpunkt von diesem Impuls auch zu distanzieren und die Quelle bewusst zu verabschieden.

Wichtig ist dabei, sich bewusst zu machen, dass dies kein kleiner, nebensächlicher Schritt ist, sondern immer ein Schritt, der eine Initiative in den Grundfesten erschüttert, und von dem immer eine Wunde zurückbleiben wird – so wie wenn Kinder den Kontakt zu den Eltern abbrechen. Manchmal ist so ein Schritt aber notwendig. Die Quelle ist ein wichtiges Ordnungselement für Organisationen, so wie die leiblichen Eltern es für Familien sind. Die Quelle hat eine Rolle in der Organisation, die ähnlich der Rolle der Eltern im Familiensystem ist. Die Quelle ist nicht nur ein Gruppenmitglied wie alle anderen. Sie hat in Projekten, denen explizit ein gemeinschaftliches, selbstbestimmtes Miteinander wichtig ist, aber nicht die unumstößliche Rolle, die Koenig aus der Erfahrung erfolgreicher Unternehmen abgeleitet hat.

Herausforderungen für Quellen

Auch wenn ich Schwierigkeiten mit der absoluten Ansage habe, dass die Ur-Quelle als einzige die Hüterin der Ausrichtung sein kann, teile ich doch die Erfahrung, dass die Ur-Quelle als Hüterin der Ausrichtung eine wesentliche Rolle spielt, und dass die Frage, wie sie ausgefüllt wird, das Projekt entscheidend beeinflusst. Welche Herausforderungen bieten sich für Menschen, die Quellen ihrer Initiativen sind?

Quellen können versickern, verunreinigt werden, aufgestaut werden – das sind einige metaphorische Beispiele für die Beeinflussung von innen und außen, die in der Quellenarbeit auftauchen können. Konkret benennt Stefan Merckelbachi, ein Schüler Peter Koenigs, drei Deformationen der Wirkung der Quelle, die Initiativen belasten können.

Blindheit: „Wir sind doch alle gleich!“ Die Quelle verkennt sich selbst

Die Quellenperson nimmt nicht wahr, dass sie „an der Quelle sitzt“, während sich die Initiative in Entscheidungen aufreibt, verwässert und die Unzufriedenheit wächst. Es ist wichtig, dass die Quelle für die Initiative, die sie ins Leben gerufen hat, auch die Verantwortung und Initiative übernimmt. Das gehört zu ihrer Rolle und macht die Arbeit der ganzen Initiative leichter.

Willkür: „Das ist mein Projekt – ich entscheide!“ Quelle und Ego verwechseln

Die Quellenperson möchte so sehr Quelle sein, dass sie den Ursprung mit Urheberschaft und Eigentümerschaft verwechselt. Willkürliche Entscheidungen dienen nicht der Sache an sich, sondern der Verwirklichung von eigenen Zielen und persönlichen Wünschen. Hierzu gehört es, sich stets zu fragen, was die eigene Motivation für eine Entscheidung ist.

Nachlässigkeit: „Ich habe da eine Idee – macht ihr mal!“ Die Arbeit der Quelle vernachlässigen

Die Quellenperson ist sich ihrer Rolle bewusst, übernimmt jedoch keine Verantwortung dafür oder investiert nicht die Zeit und Ressourcen, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Die Initiative ist gelähmt, lethargisch und kommt nicht vom Fleck.

In allen drei Fällen wird die Initiative schwächeln. Kraftvoll werden Initiativen, wenn die Quellen sich als Quelle wahrnehmen und bewusst dafür engagieren, und sich dabei bewusst in den Dienst der Sache stellen. Es braucht dafür von der Quelle, wie von jeder hohen Rangposition, einen sehr bewussten Umgang mit ihrer Rolle, und innere Arbeit.

Übergabe der Quellen-Rolle

Koenig und seine Schüler:innen legen großen Wert auf die Frage, dass die Rollen von Quellen nicht nur in der Anfangsphase von Bedeutung ist, sondern in jede Phase einer Initiative. Wenn eine Quelle sich zurückzieht, muss diese Rolle auf eine andere übertragen werden sollten. Denn eine Organisation, in der niemand die Rolle der Quelle übernimmt, wird verwässern und die Orientierung verlieren, ist Koenigs These.

Es gibt eine ganze Reihe von sehr inspirierenden Projekte, die nach dem Tod oder Weggehen der Quelle einschliefen oder große Krisen durchliefen.

Ein bekanntes Beispiel ist die Künstlerkolonie von Monte Verità in der Schweiz, die vom deutschen Dichter und Philosophen Henri Oedenkoven und seiner Partnerin, der Tänzerin Ida Hofmann, gegründet wurde. Die Kolonie war ein Zentrum für alternative Lebensweise und künstlerische Experimente. Nach dem Tod von Oedenkoven verlor die Kolonie jedoch ihren Antrieb und Einfluss.

Heutzutage erinnern sich nur noch wenige, dass die Firma Apple, von Steve Jobs gegründet, eine Phase hatte, in der Jobs das Unternehmen verlassen hatte – und das deutliche Auswirkungen auf das Unternehmen hatte. Jobs hat Apple 1976 mitgegründet. Er verließ jedoch nach einem Machtkampf mit dem damaligen CEO die Firma 1985. Danach durchlief Apple eine Phase, in der die Markanteile und Gewinne deutlich sanken, und viele talentierte Mitarbeitende das Unternehmen verließen. Im Jahr 1997 kehrte Job zu Apple zurück und Apple erlebte eine beispiellose Renaissance. Jobs Fähigkeit, technologische Innovation mit ansprechendem Design zu vereinen, führte zur Entwicklung von bahnbrechenden Produkten wie dem IPod, iPhone und IPad.

Muss die Quellen-Rolle immer an eine Person übergeben werden?

Die Quellenprinzipien sagen aus, dass für das Gelingen einer Initiative eine gelungene Übergabe der Quellen-Rolle an eine nachfolgende Quelle sehr entscheidend ist. Für Initiativen, die möglichst gleichberechtigt arbeiten wollen, zweifele ich diese Annahme, dass es nach dem Rückzug der Ur-Quelle stets eine neue definierte Ur-Quelle geben muss, stark an. In meinen Augen ist es ein wichtiger Schritt zum Erwachsenwerden eines Projektes, wenn die Quelle ihre Rolle verteilt, und es nicht mehr eine einzelne Person gibt, die diese Rolle innehat.

Und doch gibt es auch hier wieder einen Kern, der mit meinen Erfahrungen übereinstimmt: Aufgrund der besonderen Rolle der Quelle geraten Projekte oft ins Schlingern, wenn die Quelle sich zurückzieht oder stirbt. Je bewusster der Übergang gestaltet ist, desto geringer ist diese Gefahr.

In den Unternehmen, die Koenig begleitete, ging es dabei um die bewusste Übergabe einer Führungsrolle, denn es waren auch hierarchisch strukturierte Unternehmen. Ich glaube, dass es in Projekten der Wandelbewegung selten darum geht, nach der Gründungsperson eine Nachfolgerin zu bestimmen, die die gleiche Rolle hat. Spätestens nach dem Ausscheiden der Gründungsperson kann die Rolle der Quelle als solche aufgelöst werden – wenn die Gruppe stark genug ist, die Vision weiter zu führen. Meine These dazu: Für einen guten Übergang von der Zeit, in der die Quelle das Projekt aktiv gestaltet hat zur nächsten Phase braucht es eine klar formulierte Ausrichtung, bewusst gestaltete Struktur, eine gut getragene Gemeinschaftskultur und einen klaren, gerne rituell gestalteten Übergang.

Was bedeutet das?

Klar formulierte Ausrichtung

Wenn das Hüten der Ausrichtung nicht mehr die Aufgabe der Quellenperson ist, braucht es einen klar definierten Rahmen der Initiative. Es braucht eine Formulierung der gemeinsamen Werte und Ziele. Dies darf nicht nur implizit geschehen, sondern die Werte und Ziele sollten in einem gemeinsamen Prozess mit der Quelle erarbeitet und festgehalten werden.

Bewusst gestaltete Struktur

Koenig beschreibt als wichtige Aufgabe der Quelle, Hüter:in des Gründungsimpulses zu sein. Menschen, die diese Rolle innehaben, können auch ein Gespür dafür haben, wann es sinnvoll ist, den Gründungsimpuls anzupassen, eine neue Richtung zu geben. Formulierte gemeinsame Werte und Ziele dürfen kein starres Korsett sein. Es ist wichtig, dass sich Ziele auch mit der Zeit ändern können. Bis zum Zeitpunkt der Übergabe war die Quelle die Instanz, der die Rolle zukam, zu erspüren, wann es wichtig war, an einmal gesteckten Zielen festzuhalten, und wann es wichtig war, sie zu verändern. Es muss geklärt werden, wer – oder welche Gruppe – diese Rolle dann übernimmt. Hier für braucht es Festlegungen in der Entscheidungsstruktur.

Die Standard-Antwort von konsensorientierten Gruppen: „Natürlich wir alle!“ trägt tatsächlich sehr stark die Gefahr der Verwässerung und Zerfaserung mit sich. Denn eine Gruppe besteht aus vielen Individuen mit unterschiedlichen Werten, die sich auch im Laufe der Zeit noch verändern können. Wenn die Ausrichtung einer Initiative nur im Konsens von allen neu gestaltet werden kann, dann führt das entweder zu einer extrem konservativen, unflexiblen Situation, weil an der Grundidee nur im Konsens gerüttelt werden kann, oder umgekehrt zu einer Situation, in der die Werte und Ziele verwässert werden, da sie durch die Handlungen der Mitglieder unterlaufen werden, ohne dass eine neue klare Ausrichtung geschaffen werden kann, weil manche an den alten Werten und Zielen festhalten und andere eine Veränderung wünschen.

In der manchen Varianten der Soziokratie (Kapitel 7) wird für diese Aufgabe ein „Top-Circle“ oder „Visionskreis“ installiert, der genau diese Aufgabe hat. In diesem Kreis wird in der Regel die Quelle eingebunden, und daneben andere Menschen, denen zugetraut wird, dass sie die Essenz des Projektes verinnerlicht haben.

Gemeinschaftskultur

Mindestens ebenso wichtig wie eine Formulierung der Ausrichtung in Worten ist die bewusste Gestaltung von Gemeinschaftskultur. Im Business-Kontext würde es Unternehmenskultur heißen, aber da die Zielgruppe dieses Buches aber nicht nur Unternehmen sind, sondern Menschen, die in verschiedensten gemeinschaftlichen Initiativen unterwegs sind, nenne ich es an dieser Stelle Gemeinschaftskultur – damit sind alle Gewohnheiten und ungeschriebenen Do‘s and Dont’s einer Gruppe gemeint. Die Gemeinschaftskultur wird in der ersten Zeit einer Initiative stark von der Quelle geprägt. Je länger eine Initiative existiert, je mehr und stärkere eigene kulturelle Elemente entwickeln sich. Wenn in der Gemeinschaftskultur die Werte der Gruppe stark gelebt werden, dann ist das häufig noch wesentlicher als die Frage, ob sie exakt festgeschrieben sind.

Gestalteter Übergang

Nicht umsonst haben sich in allen Jahrhunderte überdauernden Institutionen Rituale für Übergänge entwickelt. Rituale haben ihre eigene Kraft, und es ist sinnvoll, sie zu nutzen. Das muss keine Krönungszeremonie wie im englischen Koenigshaus sein, aber bewusst gestaltete Übergaben sind in meinen Augen ein wichtiger Teil von Gemeinschaftskultur und tragen in diesem Kontext sehr dazu bei, eine Quelle aus ihrer Rolle wirklich zu entlassen. Sie wirken auf der innerpsychischen Ebene für die Quelle (sie kann leichter wirklich loslassen), auf der Gruppenebene für das Bewusstsein der anderen Mitglieder der Initiative (der Übergang wird allen nochmals sehr deutlich), und auch auf der Essenz-Ebene, die energetisch zu spüren ist.

Das Ostern des Projektes

In der gemeinschaftlichen Projektplanungsmethode Dragon Dreaming wird in einer sehr frühen Phase eines Projektes mit der Methode Traumkreis gearbeitet, den die Quelle des Dragon Dreamings, John Croft, „das Ostern des Projektes“ nennt. Er nennt den Traumkreis den Moment, in dem das Projekt als Projekt der Gründungsperson stirbt und als Projekt der Gruppe wieder aufersteht.

Dieses Bild widerspricht auf den ersten Blick den Quellenprinzipien, die die Rolle der Gründungsperson betonen und postulieren, dass Projekte in Schwierigkeiten geraten, wenn die Quelle ihre Rolle nicht annimmt. Was passiert, wenn sie diese Rolle durch den Traumkreis bewusst mit anderen teilt?

In den Bildern der Quellenprinzipien gesprochen, entwickeln sich beim Traumkreis neben der Urquelle ganz viele Sub-Quellen. Dadurch, dass jede Person ihren Traum in das Projekt einbringt, wird jede Person selber zur Quelle. Die Rolle der Gründungsperson als die Ur-Quelle bleibt in der Sichtweise der Quellenprinzipien trotzdem bestehen. Die Ur-Quelle ist die Person, die die Ausrichtung des Projektes verantwortet.

Meine Sichtweise darauf: Der Traumkreis ist ein wichtiger erster Schritt in der Wandlung der Quellen-Rolle, indem er starke Sub-Quellen integriert. In dieser frühen Phase eines Projektes ist es in meiner Erfahrung tatsächlich noch nicht soweit, dass die Quelle durch einen Traumkreis wirklich die Quellenrolle übergibt. Die Rolle der Quelle bleibt aber auch nach einem Traumkreis ein besonderer struktureller Rang, der einen sehr bewussten Umgang braucht – sowohl von Seiten der Quelle wie von Seiten der anderen Mitglieder. Eine wirkliche Übergabe der Quellen-Rolle findet häufig erst zu einem späteren Zeitpunkt statt, und sollte dann bewusst zelebriert werden.

Die Quelle als besonderer struktureller Rang braucht innere Arbeit auf allen Seiten

Bei allem inneren Widerspruch, der sich in mir zum Quellenprinzip regte, habe ich doch sehr wichtige Elemente darin erkannt, die gerade für Initiativen, die keine unkontrollierbaren Machtpositionen wünschen, von großer Bedeutung sind. Es ist mit der Rolle der Quelle nicht anders als mit dem Einfluss von anderen Privilegien auf den Rang einer Person: Auch wenn wir nicht wollen, dass sie einen Einfluss hat, die Rolle wird wirken! Daher ist es dringend angeraten, sich mit den Auswirkungen der Quellenprinzipien zu beschäftigen. Es zu ignorieren, weil es den eigenen Wertvorstellungen widerspricht, wird die damit verbundenen Herausforderungen und Konflikte nicht lösen.

Eine besondere Position wie die der Quelle braucht in verstärktem Maße einen bewussten Umgang damit. Dazu gehört auch innere Arbeit, sich als Quelle Fragen zu stellen wie: Was braucht die Initiative von mir in dieser Rolle? Wo braucht sie meinen Einsatz, wo mein Loslassen? Wie kann ich ihr am Besten dienen? Welche Anregungen für meine Weiterentwicklung kann ich persönlich aus den Herausforderungen, die sich mir als Quelle stellen, ziehen? Und: Wann ist der Zeitpunkt, an dem ich meine Rolle bewusst übergebe?

Für diese innere Arbeit kann es sehr hilfreich sein, sich mit anderen Quellen auszutauschen. Die Rolle einer Quelle ist sehr speziell und einsam in ihrer Initiative. Glücklicherweise gibt es andere Initiativen, die ebenfalls Quellen haben. Als Quelle braucht es eine Bereitschaft und das Vertrauen, auf die eigenen Impulse und Intuitionen zu vertrauen. Und gleichzeitig braucht es das Feedback von Peers, um nicht zu stark an alten Überzeugungen und Bildern festzuhalten. Der oftmals geäußerte Bedarf nach Austausch, beispielsweise von Gründer:innen, entsteht aus der herausgehobenen Rolle der Ur-Quelle. Hier kann eine Begegnung mit anderen Ur-Quellen auf Augenhöhe sehr hilfreich sein. Gleichzeitig kann es eine Befreiung sein, die Quellenarbeit als Teil der eigenen inneren Arbeit anzuerkennen und dafür explizit Platz zu machen.

Auch für die anderen Mitglieder der Initiative bietet die Quellenprinzipien vielfältige Anstöße für eigene innere Arbeit. Warum reibe ich mich an der Ur-Quelle auf? Welche alten Muster werden hier berührt? Was ist meine Lernaufgabe dabei? Wie kann ich meine eigene Quellen-Energie in dieser Initiative entfalten? Die Auseinandersetzung mit der Ur-Quelle einer Initiative, in der jemand mitarbeitet, kann die eigenen Quellen-Ambitionen stärker herauskristallisieren.

Und es ist für eine gesunde Selbstentfaltung wichtig, dass jede Person ihre eigene Quellen-Kraft erkennt. Hierzu geben die Quellen-Prinzipien eine wichtige Impulse.

i Merckelbach, Stefan, 2020: Ein kleines rotes Buch über die Quelle. Aquilae Verlag. 1. Deutsche Auflage.

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