Quilotoa, José, der Schamane und mein Workshop mit den Quichua

Ich erwartete eigentlich nur eine neue, touristenlose Touristenattraktion bei meiner Reise zur Lagune Quilotoa, einem Kratersee eines noch nicht ganz erloschenen Vulkans. Touristenlos, ja, denn wir sind immer noch mitten in der CoViD-Pandemie, Alarmstufe rot in Ecuador. Aber die meisten Touri-Angebote sind offen, es nutzt sie nur keine:r. Ich lass mich davon nicht abschrecken und bin trotzdem durch Ecuador gereist.

So komme ich am Ort Quilotoa an, der am Kraterrand des Vulkans liegt. Oobwohl ich vorher überhaupt nicht entschlossen dazu war, dort zu bleiben, ist mein erster Gang zum Hostel, das neben der Bushaltestelle ist, und ich miete mich dort für eine Nacht ein. Ich habe mich inzwischen entschlossen, einigermaßen meiner Intuition zu trauen, und mich von meinen Füßen treiben zu lassen, was ich wirklich mache, und so haben meine Füße entschieden, hier länger zu bleiben.

Ich lass mein Gepäck im Hostel, packe fast alles aus meinem Rucksack, nur Sonnenhut, Sonnencreme, Schal, Mütze und Wasser kommen mit. Dann mach ich mich auf den Weg. Durch das Örtchen, das aus einer Aneinanderreihung von Hostels, traditionellen Handwerksshops und Restaurants besteht. Und offensichtlich leben dabei jeweils ein paar Menschen, alles Indigenas, Quichuas, wie ich später erfahre.

Der Ort Quilotoa – eine moderne Comunidad Indigena, die sich rund um den Tourismus dort gegründet hat.

Dann am Rand, mit Blick auf die Lagune, wunderschön! Wirklich verständlich, warum dies so ein touristischer Höhepunkt ist.

Es gibt einen kürzeren Spazierweg zu einer noch schöneren Aussichtstelle, einen Rundweg und einen Weg hinab. Meine Füße lenken mich hinab, also gehe ich hinab. Schöner Spaziergang, nur fängt es leider an zu regnen. Unten angekommen: Ein Kajakverleih, ein paar Pferde für müde Wanderer, die nicht mehr hinauf laufen wollen, und die Kajakverleiher bieten auch etwas Heißes zu trinken an. Eine ecuadorianische Jugendgruppe ist dort, ansonsten bin ich die einzige Touristin. Ich bestelle eine heiße Schokolade und frage, ob ich mich irgendwo ins Trockene setzen kann. Es gibt ein Zelt, in dem ein Tisch und zwei Bierbänke stehen, da werde ich hingelotst.

Während ich da so sitze, spricht mich José an, ein älterer Mann. Auf die übliche Art, wie Ecuadorianer so fragen, wie mir das Land gefällt, wie lange ich hier bin, wo ich herkomme.

Ich erzähle, dass ich zwei Monate hier bin, aber nicht nur als Touri, sondern auch hier arbeite. Er will wissen, was ich arbeite, und ist dann auf einmal super interessiert an meiner Arbeit als Gemeinschaftsberaterin.

Er stellt sich vor als der Schamane von Quilotoa und als der “Presidente des Comite local de Salud”, und dass er in dieser Rolle auch Veranstaltungen für die Region organisieren soll.

Ich zeige ihm meine Visualisierung vom Gemeinschaftskompass, er greift sich an den Hals und nimmt sein „Cruz andina“ oder Chakana, sein andinisches Kreuz ab, und erklärt mir, dass der Gemeinschaftskompass sehr ähnlich sei wie das Cruz andina. Das ist ein Symbol für ihren Glauben, das er immer um den Hals hängen hat, und das ihm Kraft gibt.

Das andinische Kreuz
Cruz Andina

Das Cruz Andina hat 12 Ecken, die für 12 heilige Dinge stehen. Von oben links gegen den Uhrzeiger sind sind das (Nach José Iza, bei Wikipedia steht es etwas anders, aber in dieser jahrhundertealten mündlich überlieferten Kultur gibt es da sicher auch regionale Unterschiede):

Nicht lügen, nicht rauben, nicht stehlen, Säe, jäte, ernte, Wasser, Feuer, Wind, Sonnenbeschienener Berghang, Erde, Mutter.

Im Zentrum des Kreuzes ist ein Kreis für die Erde. Die steht im Zentrum, sie ist die Lebensgeberin für alles.

Er nimmt mich mit auf ein Motorboot auf die Lagune (5 Euro für das Boot zahle ich), und zeigt mir eine Mini-Felsbucht, wo er reinigende Bäder macht, und einen Punkt, wo der Fels wie ein Herz aussieht.

Immer wieder meint er, dass die Comunidad de Quilotoa von meinem Kompass was lernen könnte. Ich meine, dass ich sicher von der Comunidad de Quilotoa was lernen könnte. Er will einen Workshop organisieren, für die indigenas. Im Rahmen seiner neuen Rolle als Gesundheitskoordinator der Region. Ich fühle mich geschmeichelt, habe Lust, meinen Kompass in diesem Rahmen vorzustellen, erzähle von den EDEs und GEN, wo eine Brücke geschlagen wird zwischen den traditionellen, noch ganz ökologisch und gemeinschaftlich ausgerichteten Dörfern, und den neuen Gemeinschaften, die ich vertrete, und dass wir voneinander lernen können.

Er ist sehr interessiert an Kontakt mit Global Ecovillage Network International, dem lateinamerikanischen Netzwerk CASA Latina und dem ecuadorianischen Netzwerk Red de Ecopoblaciones. Ich verspreche, ihm die Kontakte zu meiner Kontaktperson zu unserem südamerikanischen Netzwerk zu vermitteln, damit er da weitere Kontakte knüpfen kann.

Er lädt mich in sein Haus ein, um mir seinen Altar zu zeigen. Casa Condor, ganz einfach zu finden im Dörfchen. Whatsapp-Nummern haben wir auch ausgetauscht, um Informationen austauschen zu können, wenn wir wieder online sind. (Unten an der Lagune ist kein Empfang, oben aber doch.)

Drei Stunden ausruhen in meinem Hostel. Ich bin geschafft von der Höhe, dem Aufstieg, und mehreren Stunden spanisch sprechen.

Zur Sicherheit schreibe ich meiner Familie, wo ich hingehe, denn einfach so alleine einen fremden Mann in einer fremden Kultur zu besuchen, finde ich auch schon ein gewisses Risiko. Meine Intuition sagt mir, ich kann es tun, aber sicher ist sicher.

Er steht mit zwei Indigenas, Mann und Frau (später klärt sich: Schwager und Schwägerin), vor seinem Haus. Das Haus wird gerade renoviert, aber sein Heilungszimmer ist trotzdem dort drin. Sie unterhalten sich auf Quichua. Spanisch ist für sie alle eine Fremdsprache, das habe ich schon von meinem Führer am Chimborazo gelernt.

Die beiden kommen mit rein und hören unserem Gespräch allermeistens nur zu. Vielleicht hat er sie sogar dazu eingeladen, damit ich mich sicherer fühle, ich weiß es nicht, ich bekomme kein Gefühl für ihre Rolle. Aber es hat mich wirklich entspannt, insbesondere weil die Frau dabei war, eine in meinen Augen typische, kleine, eher ruhige Indigena. Maria heißt sie. Sie malt übrigens auch, führt ab und zu Touristen, und vertreibt lokale Handwerksgegenstände.

José erklärt mir seinen Altar. Der hat viele heilige Dinge: Kerzen, die eine Bedeutung haben (Ganz sicher war Pachamama, die Erde dabei, aber ich habe die anderen wieder vergessen.) Heilige Steine, die er von dem Schamanen geerbt hat, dessen Nachfolger er jetzt ist, seinem Onkel. Heilige Kräuter, einige Flaschen mit Gebräu, das er mir teilweise vorstellt. Eines ist ein Auszug aus vielen Heilpflanzen, er gießt mir ein wenig in die Handfläche. Es riecht nach Spiritus, anscheinend ein alkoholischer Auszug mit Spiritus. Nein, ich soll es nicht schlucken, es ist nicht zum Schlucken, sondern nur zum Reinigen. Ich soll es in den Händen zerreiben und einatmen. Es riecht etwas nach Spiritus, und halt auch nach Pflanzenauszügen, die ich nicht zuordnen kann. Dass es reinigend wirkt, kann ich mir gut vorstellen.

Dann hat er Kräuterpomaden, die er mit Fett von Lamas macht. Und eine große Flasche Ayahuasca. Ob ich mal probieren will. Nein, nicht so viel, dass ich auf eine Reise gehe, das würde er nicht so einfach machen. Aber einen Schluck dürfte ich in seiner Begleitung probieren. Ich entscheide mich für „Nein“, obwohl ich neugierig bin, aber ich habe Respekt vor dieser magischen Pflanze.

Dafür bekomme ich dann Zuckerrohrschnaps angeboten, den kann ich eher einordnen in seiner Wirkung, davon nehme ich ein kleines Gläschen.

Er spielt mir ein Video vor von einem andinen Schamanen, der sehr schöne Sachen sagt, die wirklich gut zum Kompass passen. Nur, dass er da, wo ich „gemeinschaftlich“ oder „nachhaltig“ sagen würde, immer von „harmonia“ oder „harmonioso“ spricht. Aber das ist ja im Prinzip das Gleiche. In Harmonie miteinander, und mit der Erde leben. Die Philosophie der Quichua vom “Sumak Kawsay” – dem Guten Leben für alle – ist wirklich sehr beeindruckend, und sogar in der ecuadorianischen Verfassung verankert. (Wenn auch nicht so wahnsinnig gut umgesetzt.)

Was mich beeindruckt, ist wirklich, wie stark seine Verbindung zur Erde direkt, zu jedem Berg, jedem Hang, jedem Baum ist, wenn er spricht. Da ist eine tiefe Verbundenheit. Und viel Dankbarkeit gehört zu seiner Kultur. Der Aspekt „Ernte“ im Kompass passt sehr zu dem, was er lebt, außer dass er es sicher anders genannt hätte, denn das Wort „Ernte“ steht für die subsistent lebenden Indigenas eher auch für harte Arbeit des Erntens und weniger für Feiern und Auswerten. Er hätte es vermutlich Danken genannt. Ich überlege noch, ob ich es vielleicht in Erntedank umbenenne. Ständig dankt José irgendwelchen Geistern. Dass er vor seinem Altar als erstes immer auch das Kreuz schlägt und Gott, Jesus und den Heiligen Geist mit dazu einlädt, ist kein Widerspruch dazu.

Ein weiterer Impuls von dem Gespräch mit ihm für den Gemeinschaftskompass ist es, auch die Erde in den Mittelpunkt zu nehmen. Wenn ich über die Ethik des Gemeinschaftskompass spreche, dann ist die gespeist aus einer Haltung der Achtsamkeit gegenüber Erde, mir selbst und anderen Menschen. Wenn ich die Erde mit ins Zentrum nehme, ist diese Achtsamkeit auch in der Visualisierung sichtbar. Ob es für alle meine Erläuterungen passt, muss ich mir noch überlegen. Aber ich habe mal eine Variante gezeichnet, die ich ihm vorstelle.

Neuer Kompassentwurf – bis jetzt einfach mal eine Idee – mit der Erde im Mittelpunkt.

Ich habe die Umgebung in den letzten Jahren „Welt“ genannt, in einer früheren Variante war das mal „Gesellschaft“. Nach dem Gespräch mit José gefällt mir der Gedanke, die Welt wieder aufzuteilen in zwei Aspekte: Die Erde im Zentrum und die Gesellschaft außen rum. Mal sehen, ob ich das in 3 Monaten auch noch gut finde, oder nur gerade jetzt, im Bann des ecuadorianischen Schamanen. Jedenfalls habe ich es mal gezeichnet und ihm gezeigt. Ihm gefällt das Bild. Die Erde muss in die Mitte, findet er.

Nachdem wir ein wenig vertrauter geworden sind durch das Reden, will er mir das Wichtigste seines Altars zeigen. Denn das ist unter einem roten Tuch im Zentrum verborgen, wo etwas ballförmiges untendrunter ist.

Er leitet es ein mit den Worten, dass jeder Altar unbedingt einen Kopf darauf haben muss, denn der Kopf steht für das Denken, und das ist auch wichtig. Mir wird schon mulmig, ich habe Angst, dass dort ein Schrumpfkopf auftaucht, und bin geradezu erleichtert, als es „nur“ ein Schädel ist, umgeben von ein paar Bein- oder Armknochen eines Menschen, der auftaucht, als er das Tuch wegnimmt.

Ich habe mich nicht getraut, ihn zu fragen, ob ich es fotografieren darf, aber am nächsten Morgen schickte er mir ungefragt ein Foto davon.

Altar mit Schädel

Dieser Schädel muss immer wieder energetisch reingehalten werden, dafür nimmt er die Reinigungstinktur, die ich auch schon riechen durfte. Er nimmt sie in den Mund und spritzt sie dann über den Schädel.

Er und die beiden anderen bringen mir im Laufe des Abends noch bei, wie man auf Quichua sagt: Wie heißt Du? Und: Ich heiße …. Aber ich habe es bis zum nächsten Morgen schon wieder vergessen. Auch „Danke“ wusste ich. Aber schon wieder weg. Das ist ihre Sprache, und sie pflegen sie, und es ist ihnen wichtig, dass auch die Kinder sie lernen, denn mit der Sprache bleibt die Kultur erhalten.

Als die drei erfahren, dass ich am nächsten Tag nicht gleich abreise, sondern vielleicht den Krater umrunden will, bieten sie mir sofort an, dass einer der beiden anderen mich führt. Es wäre nicht wirklich gefährlich, da rumzulaufen, aber mit einem Führer / Führerin könnte ich viel mehr über die Pflanzen und die Landschaft und die Bedeutung der Landschaft lernen. Das stimmt. Und dafür bin ich ja da. José hat eine Versammlung, der kann nicht. Ich entscheide mich, das Angebot anzunehmen, dass die Frau mich führt, es interessiert mich, in Kontakt mit einer Frau aus dieser Kultur zu kommen. Sie sind schüchterner als die Männer, scheint mir. Wir verabreden 15 Dollars für einen Tag Führung. Das ist wirklich fast nix. Man könnte es schon fast ausbeuterische Preise nennen. Aber ich hoffe, es bringt vielleicht Maria auch was, und sie ist froh, überhaupt etwas zu verdienen. Außerdem kaufe ich ja später noch was von den Handwerksprodukten, das sie vertreibt.

José zeigt mir danach noch sein Atelier als Künstler und will mir eins seiner Bilder verkaufen. Sie sind schön, aber ich hänge mir solche Bilder nicht auf, und sie sind dann schon nicht ganz so billig, wenn auch für deutsche Verhältnisse immer noch geschenkt. Auf allen seinen Bildern ist die Lagune, und irgendwie auch immer Pachamama.

Er sagt, ich könnte ihm auch ein Foto von mir geben, und er würde mich vor der Lagune malen. Mit den Auftragsarbeiten kommt mir eine Idee. Wir haben ja schon viel über den Gemeinschaftskompass gesprochen.

Ich frage ihn, ob er, inspiriert von den Aspekten des Gemeinschaftskompass, gerne auch mit dem neuen Aspekt der „Erde“ in der Mitte, mir ein Bild malen kann, wie er den Gemeinschaftskompass versteht. Die Idee gefällt ihm. Wir verabreden 55 Dollars für ein quadratisches, ca. 30×30 cm großes Bild auf Leinwand. Ich bin gespannt.

Außerdem verabreden wir, dass ich wiederkomme, wenn er wirklich einen workshop für seine Comunidad organisiert. Ich sage, ich komme, wenn mindestens 6 Leute dabei sind, auf der Rückkehr von der Küste nochmal vorbei und gebe einen Tagesworkshop. Das sind zwar etwa 8 Stunden Umweg – aber das Erlebnis, den Gemeinschaftskompass einer indigenen Gemeinschaft vorzustellen, ist es für mich wert.

Damit verabschiede ich mich von ihm und gehe in mein eisig kaltes Hostel. Denn hier ist es nachts sehr kalt, und das Hostel vollständig ungedämmt.

Der nächste Tag: Die Kraterumrundung mit Maria war schön, aber leider spricht sie noch schlechter Spanisch als ich, so haben wir wenig interessante Gespräche führen können. Sie lief mit Ballerinas, Rock und Poncho und einer Plastiktüte in der Hand, ich mit Wanderstiefeln, Wanderhose, Rucksack und Stöcken. Ein ungleiches Paar, sie war aber deutlich flinker als ich und hat zum Schluss sogar noch meinen Rucksack getragen, weil ich so k.o. war beim Bergauf gehen in der dünnen Luft.

Eine Legende hat sie mir erzählt, die sich angeblich zugetragen hat, als ihre Großmutter ein kleines Kind war. Also vor über 100 Jahren. Da drohte der Vulkan auszubrechen, und um ihn zu besänftigen wurden von einer Stelle zwei Kinder in den Abgrund geworfen. Ich habe nicht genau verstanden, ob ihre Eltern mit in den Abgrund geworfen wurden oder sich später hinterhergestürzt haben, weil ihre Kinder getötet wurden. Jedenfalls war es im Endeffekt die ganze Familie, der die ganze Region rund um Quilotoa dankbar war, weil sie den Vulkan besänftigt haben, sonst wäre er ausgebrochen und als er das letzte Mal ausgebrochen ist, so gegen 1280, ist die Lava weit übers Land geflossen und hat vieles zerstört.

Maria und ich während unserer Wanderung.

Der Workshop

Ich glaubte ja erstmal nicht, dass der Workshop wirklich stattfinden würde, aber José blieb dran.

Nach einer Weile klärte sich, wann genau ich den Workshop machen könnte. Ich schrieb ihm das Datum und nach einer Warnung von Iris auch noch, dass ich mir wünsche, dass mindestens die Hälfte der Teilnehmenden Frauen sind.

Er schrieb mir bald zurück, alles wäre organisiert, und schrieb mir fast jeden Tag mutmachende Botschaften zu unserem Workshop. Zwischendurch schrieb er mal was von 24 Genossen des Turismo Comunitario, die teilnehmen würden.

So fuhr ich dann am 23.2. von Chontaduro los noch einmal Richtung Quilotoa. Ein heftiger Ritt dorthin – 12 Stunden in ecuadorianischen Bussen mit 5 mal Umsteigen.

Auf dem Weg begegnete mir die Kriminalität hier nochmal hautnah, als unser Bus wohl an dem Schauplatz eines Mordes vorbeifuhr: Polizeiabsperrung auf einem Platz, und im Zentrum der Abspannung lag ein Mensch, mit sehr viel roter Flüssigkeit um den Kopf. Mehr konnte ich nicht erkennen, dann waren wir vorbeigefahren.

Beim abendlichen Ankommen in Quilotoa hörte leider der Schwindel, den ich zunächst auf die vielen Kurven beim Busfahren geschoben hatte, nicht auf. Der Boden schwankte auch noch Stunden später. Auf einmal wurde mir klar, dass ich gerade innerhalb von 12 Stunden fast 4.000 Höhenmeter überwunden hatte, und schlicht und einfach Höhenkrankheit hatte.

Abends besuchte ich noch José und wir sprachen nochmal drüber, was er sich von dem Workshop erhofft, was er denkt, mit welchen Erwartungen die Teilnehmenden kommen, wer so kommt. Die Hoffnungen, die er dann äußerte, waren auf einmal ganz klar im Bereich „Praxis“ und „Welt“ des Gemeinschaftskompass: Erfahren, wie sie Fördermittel und Unterstützung bekommen können, um z.B. eine Seilbahn zu bauen. Hmmm… nicht meine Kernkompetenz in Ecuador. Auch nicht das, wofür ich mich vorbereitet hatte. Beim nächtlichen Überlegen, wie ich sie noch besser in diesen praktischen Fragen unterstützen kann, kamen mir zum Glück noch ein paar Ideen, mit wem ich sie vernetzen könnte.

Am nächsten Morgen kamen zum Schwindel noch Kopfschmerzen dazu – und die Information, dass Russland in die Ukraine einmarschiert ist. Mir ging’s beschissen, ich war hundemüde und fertig – aber der Workshop stand vor der Tür. Eine Schmerztablette half, die Kopfschmerzen zu unterdrücken, und dann ging’s los.

Bereits um 9.40 Uhr waren 6 Frauen da, und José meinte, wir könnten jetzt anfangen, obwohl der Taller eigentlich für 10 Uhr ausgeschrieben war, und er mir zwischendurch mal was von 24 Leuten geschrieben hatte. Ich hatte ihm aber auch gesagt, dass ich es ab 5 Leuten mache, von daher waren wir genug.

Pünktlich um 10 Uhr kam die siebte Frau, immerhin! Die Ecuadorianer überraschen mich immer wieder durch ihre Pünktlichkeit! Sieben weibliche Indigenas, zwischen 25 und 35 nach meiner Schätzung, und José, der Schamane, um die 60.

José hielt eine sehr lange Einleitung auf Quichua, die er mir sehr kurz übersetzte, warum es so wunderbar wäre, mich hier zu haben als jemand die ganz viel unterstützen kann.

Ich hatte zum Glück ein paar Fotos aus Sieben Linden und viele spanische Gemeinschaftskompass-Visualisierungen ausgedruckt, und konnte so ein wenig visualisieren, obwohl es natürlich keine Beamer gab.

Ich begann damit, dass ich mich und meinen Hintergrund – Sieben Linden – vorgestellt habe. Und überhaupt das Konzept der modernen Ökodörfer und Gemeinschaften, in denen Menschen sich neu zusammenschließen und auf’s Land gehen, und eher kleinteilig und mit angepassten Technologien und Pferden arbeiten, etwas was sie jetzt noch machen, aber was ja häufig durch die „Entwicklung“ verändert wird. Und wo viele junge Menschen weggehen, weil sie moderner leben wollen.

Ich glaube, dass diese Erzählung von 7L eine der beiden erfolgreichsten Teile meines Workshops war. Viel Interesse, einige Nachfragen. Es stellte sich dann raus, dass zwei von den sieben recht schlecht spanisch sprechen, für alle ist Quichua die Muttersprache und Spanisch die Sprache, die sie dann in der Schule benutzen und im Fernsehen sehen. So war ich mit meinen mittelprächtigen Spanischkenntnissen eindeutig nicht die schlechteste in Spanisch – was die Verständigung aber nicht einfacher gemacht hat. Zwischendurch hat dann José immer mal wieder ins Quichua übersetzt, aber da ich leider längst nicht immer sicher war, dass er mich verstanden hat, hat mich das nicht so wirklich erleichtert. Meistens hat er auch noch seine Interpretation dazugefügt, die ich dann nur teilweise erahnen konnte.

Bei der Einführung des Gemeinschaftskompass kamen dann zu den sprachlichen Schwierigkeiten die kulturellen. Die Bedeutung der Individuen im Gemeinschaftskompass – in Deutschland oder auch ganz Europa immer gut angekommen – stieß bei ihnen eher auf Fragezeichen. Die Gemeinschaft im Mittelpunkt, okay.

Ich hatte die Einführungsrunde, die ich mir vorgenommen hatte, vergessen, und habe sie dann nach der Vorstellung der Aspekte Individuen und Gemeinschaft eingefügt. Ich dachte, es ist doch eine schöne Idee, zu fragen: „Was macht Ihr jetzt im Leben? Und: Was würdet ihr gerne machen?“ Mit diesen Fragen habe ich sie komplett überfordert. „Was mache ich?“ Nun, es gibt ja keine Arbeit ich bin zuhause und mache Haushalt und Garten und Homeschooling mit den Kids. Ein bißchen arbeitet jede für und mit der Organisation für turismo comunitario, einige haben einen Stand im großen Kunsthandwerksverkaufsladen, verkaufen eigene Sachen und die ihrer Freunde und Familien, manche arbeiten gerade einen Monat im Gästeempfang (regelmäßige Mitarbeit ist Pflicht für alle „Socios“) und eine arbeitet im Restaurant. Was würden sie gerne machen? „Una profesion!“ einen Beruf wollen fast alle, dabei ist es einigermaßen egal, welcher. Hauptsache, ein Beruf, der irgendwie anerkannt ist und mit dem man einen richtigen Job haben kann, bei dem man Geld verdient.

Eine wollte, dass sich alle mehr zusammentun, um mehr zu erreichen für ihre Comunidad. Da konnte man ansetzen. Wie geht das? Dafür ist der Gemeinschaftskompass da. Da konnte ich etwas anknüpfen.

Dann ging’s weiter mit einer sehr kurzen Einführung in den Gemeinschaftskompass.

Bei Intention: „Ja, es wäre toll, wenn wir alle ein gemeinsames Ziel hätten. Gerade geht jeder so seinen eigenen Weg.“ Hier habe ich versucht, ein bisschen anzusetzen, Szenarien zu entwickeln, in denen ein gemeinsames übergeordnetes Ziel und Synergieeffekte es ermöglichen, dass viele verschiedenen Wege gemeinsam doch zum gleichen Ziel führen. Ich glaube, das ist ein kleines bisschen angekommen, zumindest bei der, der es wichtig war, dass sie mehr an einem Strang ziehen, schauen, wie das, was die einen tun, auch den anderen nutzen kann. Das Wort Synergien kannte natürlich keiner – Bedeutet es „apoyo“ (Unterstützung)? Nein, nicht ganz, auch wenn das auch dazugehören kann. Aber es bedeutet, dass man mit unterschiedlichen Aktivitäten, die nicht in erster Linie als „Unterstützung“ gedacht sind, trotzdem gegenseitig mehr Energie geben kann. Ich weiß nicht, ob ich es so erklären konnte, dass es verstanden wurde.

Mit den eigenen Wegen hätten wir dann auch beim Thema der individuellen Entfaltung sein können, aber darum ging es ihnen nicht, eher darum, dass jeder möglichst viel Geld verdienen will – verständlicherweise in der prekären Situation, in der sie sich befinden, nach 2 Jahren mit ganz wenig Touristen in einem Ort, der von Touristen lebt. Aber bei ihnen geht es nicht um Selbstverwirklichung, sondern viel mehr um Subsistenz und Grundlegendes. Das ist mir nochmal sehr deutlich geworden. Maslowsche Bedürfnispyramide hautnah erlebt. Wir haben da ganz schöne Luxusprobleme in Deutschland.

Struktur – die Reaktion: Wir haben doch eine Organisation de turismo comunitario, das ist unsere Struktur. Ja, aber es gibt noch viele andere Ebenen von Struktur – wie Entscheidungen getroffen, Informationen gemanagt, Treffen abgehalten werden. Das hat sie wenig interessiert. Ich habe bei der Gelegenheit, als José mal gerade draußen war und was anderes gemanagt hat, gefragt, wie eigentlich ihre Situation als Frauen in dieser Gemeinschaft ist, ob sie gleichberechtigt sind, oder ob die Männer bestimmen. Sie fühlen sich gleichberechtigt. (Nunja, bei zwei hatte ich das Gefühl, dass sie einfach den anderen nicht widersprechen wollten, vielleicht hätten sie in privatem Gespräch was anderes gesagt.) Aber im Büro arbeiten nur Männer, im Verkauf der Kunsthandwerke fast nur Frauen. Die Männer, mit denen ich zu tun hatte, sind gebildeter als die Frauen, wenn ich das mal von der Art, wie sie spanisch sprechen und auch auf solche Themen wie den Gemeinschaftskompass reagieren, schließen darf. Frühe Schwangerschaften sind ein häufiges Problem hier, und dann gehen die Frauen natürlich auch aus der Schule raus.

Der Ernte-Aspekt wurde von ihnen dann verstanden, als ich ihn in den guten alten Dragon-Dreaming Begriff „Celebracion“ umgenannt habe, das wurde glaube ich, gut aufgenommen.

Ernte ist für Frauen vom Land einfach auch mehr Arbeit als Vergnügen und die Früchte genießen. Dieses Bild entsprang dem Kopf einer Eva, die nur zur Erdbeerzeit im Erdbeerfeld ernten geht … dann ist Ernte dieses „Genießen der Früchte“, eigentlich kommt es ja nach der Ernte, die harte Arbeit ist.

Die Welt war auch einigermaßen klar, und das hat sie interessiert: Wo kann man Unterstützung bekommen? Hier gab es wieder Interesse.

Ob sie mit dem Kompass-Modell was anfangen können? Schweigen im Walde. Ob es ihren Erfahrungen entspricht? Konnten sie nix zu sagen. Schade, denn auf dieses Gespräch hatte ich mich gefreut.

Wie man den Kompass nutzen kann, habe ich kurz versucht, zu erklären, aber auch das kam einfach nicht an. Die Sprachschwierigkeiten waren nicht das Hauptproblem, es waren insbesondere die großen kulturellen Unterschiede. Und zwar interessanterweise nicht die Unterschiede zwischen Europa und Lateinamerika, denn die Leute, die in meinem Workshop für die Alternativszene Ecuadors in Mashpi waren haben sofort verstanden, was ich mit dem Kompass sagen will. Dabei sprach ich da noch eher schlechter spanisch, ich habe ja im letzten Monat noch was gelernt, und es waren wirklich nur Ecuadorianer dabei. Aber dort waren es projektaktive Menschen aus der Alternativszene, hier waren Frauen aus indigenen Kulturen, die ihre Arbeit zuhause machen, und daneben ein klein bißchen was irgendwo dazuverdienen und daher keine Erfahrungen hatten, die mit dem Gemeinschaftskompass übereinstimmen.

Auch bei dem, was in jedem Workshop und jeder Gemeinschaftsbegleitung eine Person als besonderes „Aha-Moment“ im Feedback benennt, der Möglichkeit, durch den Gemeinschaftskompass Konflikte zu erklären: Es kam nicht an. In Mashpi habe ich es mit den gleichen schlechten spanischen Worten erklärt, und es hat sofort Wiedererkennungseffekte hervorgerufen. Ich hab es den Frauen zweimal mit unterschiedlichen Worten und Beispielen erklärt, dann hat José es versucht, nochmal einfach zu erklären, diesmal auf Spanisch, so dass ich verstanden habe, was er sagte, aber er hat es leider in seinen Worten wieder gänzlich anders erklärt als ich es gemeint habe.

Das war aber im Endeffekt auch eine interessante Erfahrung für mich, zu merken, das der Gemeinschaftskompass einfach einen bestimmten kulturellen und einen bestimmten subkulturellen Projektorga-Hintergrund braucht, und ohne den kaum zu verstehen ist. Vermutlich wäre er auch für manche Deutschen nicht zu verstehen, aber Leuten, die nichts mit Projekten zu tun haben, habe ich den Kompass sonst auch noch nie versucht zu erklären.

Was aber dann ankam, war, als ich beim Bereich Welt von den Projekten erzählt habe, die ich kenne, und die sie interessieren könnten. Da wurden sie wach. Sie würden total gerne im Ausbildungsprojekt von David bei “Cuisines sans Frontières” mitmachen oder ihre Tochter schicken, sie wollen gerne dafür sorgen, dass in allen Häusern richtige Öfen sind, und niemand mehr auf Feuer kocht, dabei könnten meine Freund:innen aus Riobamba vielleicht helfen, und ob es nicht eine Möglichkeit gibt, nach Deutschland zu kommen für sie …. so recherchiere ich jetzt auch die Freiwilligendienste, die Incoming-Freiwilligendienste für Leute aus Ecuador organisieren.

Nach dem Mittagessen hieß es dann, es würden gleich die Jungs vom Office kommen, sie wollten hören, was wir gemacht haben. Dafür verschwanden dann die meisten Frauen, weil sie anderes zu tun hatten. Die Jungs vom Office kamen erst eine Stunde später als verabredet, in der Zwischenzeit habe ich mit dem Restaurant-Betreiber Eduardo und José gequatscht, schon ein paar Links ausgetauscht, gemeinsam die Website von CASA latina (dem südamerikanischen Zweig vom Global Ecovillage Network) studiert. Das war zumindest entspannend, und Eduardo möchte mit ein paar ecuadorianischen Projekten Kontakt aufnehmen und vielleicht arbeitet sein Sohn dort mal als Volunteer mit, um was anderes zu sehen.

Eduardo – sehr stolzer, moderner Quichua und Touristenführer, der sich sehr mit seiner Kultur identifiziert und mir zwischendurch seine private Ausstellung über die Quichua-Kultur zeigte, hat da übrigens einen tollen Spruch an die Wand geschrieben: „Folge nicht den Fußstapfen Deiner Ahnen, sondern suche das, was sie gesucht haben!“

Irgendwann kamen dann doch die vier Jungs vom Office. Nur der Chef fehlte. José hat ihnen zusammengefasst, was wir gemacht haben, auf Quichua, keine Ahnung, was er gesagt hat, aber ihn hat ein Foto von unserer Apfelausstellung sehr beeindruckt, dazu hat er viel gesagt. (Hier wurden nochmals die vorbereiteten Fotos rumgereicht, das gab viel Hintergrund-Information.) Die vier Jungs haben auch mehr den Eindruck gegeben, dass sie meine Ultra-Kurzeinführung in die Brujula (Kompass), die ich dann gehalten habe, verstanden haben. Mit ihnen habe ich dann auch noch mal alle Kontakte durchgesprochen, die ich ihnen geben könnte, und erfahren, dass sie einen sehr gut strukturierten Secretario haben, der nämlich sofort darauf hinwies, dass alle diese Informationen unbedingt an die Dienstadresse der Organisacion geschickt werden sollen, damit diese wertvolle Info auch dann erhalten bleibt, wenn die Menschen wechseln. Super – sehr konstruktiv auf Strukturfragen geachtet! Habe ich gleich gewürdigt!

Die Jungs waren jedenfalls deutlich begeisterter von meinen Kontakten als vom Gemeinschaftskompass. Sie sahen darin wirklich viele Chancen für sich, und äußerten mehrfach, wie wichtig es für sie sei, mehr von anderen zu lernen.

Ich habe sie für angepassten Technologien mit Fausto und Cumanda von der Fundacion Mashcana zusammengebracht. Für die Ausbildung ihrer jungen Leute im Bereich Gastronomie mit David und Marco – und es sieht so aus, als ob vielleicht zwei Menschen aus Quilotoa da noch in diesem Jahr teilnehmen kann. Für mehr Kontakt mit den „modernen“ Comunidades mit dem ecuadorianischen und dem lateinamerikanischen GEN-Netzwerk habe ich sie mit den beiden Ansprechpartnerinnen für Ecuador und für ganz Lateinamerika vernetzt, obwohl ich nicht sicher bin, ob sie viel miteinander anfangen können. Werden wir sehen. „Circulo de empatia“ bietet das Netzwerk gerade monatlich online an. Ich kann mir schlecht vorstellen, wie die indigenen Frauen da mitmachen, und bei den Männern, mit denen ich mich, was Projektorga angeht, eher auf einer Verstehensebene gefühlt habe, kann ich mir die Teilnahme an einem online-Kreis, in dem sich die Menschen gegenseitig Empathie geben, noch schlechter vorstellen.

Aber Permakultur oder sowas wäre schon was für sie, auch hier würde es vor allem auch die jungen Leute empowern, wenn sie sehen, dass junge Leute aus der Stadt dafür aufs Land kommen. Und von diesen Kontakten könnte viel Gutes entstehen. Ich bin gespannt.

Außerdem habe ich sie noch mit Carsten in Verbindung gebracht, der für eine Firma arbeitet, die europäische Reiseunternehmen und gute Projekte des Nachhaltigen Tourismus in Lateinamerika zusammenbringt. Das könnte sich sehr für die gemeinschaftliche Tourismus-Organisation und damit für viele von ihnen, die vom Tourismus leben, auszahlen, wenn daraus was wird.

Und was sie, weil sie so viel Interesse am Lernen von anderen Projekten hatten, sehr aktiv aufgegriffen haben, war mein Hinweis, dass es ja eigentlich in Ecuador auch sehr viele Projekte des turismo comunitario gibt, und was denn mit einem Austausch unter diesen Projekten wäre? Ja, das organisiert keiner so richtig. Ja, sie waren schonmal zu einem anderen Projekt gefahren und haben sich ausgetauscht, das war gut, aber eigentlich läuft es viel zu wenig. Vielleicht greifen sie das jetzt auf, und organisieren erstmal auch in ihrem ganz eigenen Netzwerk mehr Erfahrungsaustausch. Das wäre ja schonmal ein Riesen-Erfolg.

So war es im Endeffekt doch ein erfolgreicher Tag, auch wenn ich nicht glaube, dass der Gemeinschaftskompass Ecuadors indigene Gemeinschaften viel weiterbringt. Aber ich habe viel über die Kulturrelativität meiner Konzepte und Gedanken gelernt und sie werden hoffentlich von meinen Kontakten profitieren. Ich bin also im Endeffekt zufrieden.

José hat mir seit meinem letzten Besuch ein Bild mit seiner Interpretation vom Gemeinschaftskompass als Auftragsarbeit gemalt. Das übergab er mir dann noch abends.

Josés Interpretation vom Gemeinschaftskompass … Pachamama im Hintergrund ergießt ihre Fülle in die Lagune, und die Menschen säen, bearbeiten und ernten gemeinsam. Die Zäune geben Struktur.

Er wollte mir gerne noch mehr von den Sachen, die seine Schwägerin verkauft, andrehen, tolle Ponchos und Schals, etc. Meine Antwort: „Ich habe schon so viel gekauft, dass ich vermutlich einen Teil meines Gepäcks in Ecuador lassen muss, weil ich es nicht mehr in mein Gepäck kriege!“ Daraufhin meinte er: „Oh, wenn Du was dalassen willst, dann lass es doch hier – ich und meine Enkel haben seit Ewigkeiten keine neuen Sachen bekommen. Schau, diese Schuhe hat mir eine amerikanische Touristin vor 20 Jahren geschenkt, sehr gute Schuhe, ich trage sie jeden Tag, aber jetzt lösen sich die Sohlen!“

So habe ich dann überlegt, was von meinen Sachen ich am ehesten nicht mehr in D brauche, und ihm meine Fließjacke geschenkt, worüber er sich total gefreut hat, er hat es mindestens 10 mal betont, wie glücklich er mit meinem Geschenk ist, was ihn jetzt die nächsten Jahre warmhalten wird. Das hat mich schon ziemlich beschämt. So eine Fließjacke aus der Verschenkeecke ….

Auch wenn der Tag sehr anders ablief als ich es mir vorgestellt habe, war es im Endeffekt ein sehr guter Tag für mich. Allein die Tatsache, in Quilotoa nicht als Touristin zu sein, sondern als jemand, die eingeladen wurde, und die vielen Kontakte zu den Einheimischen waren die 7 Stunden Umweg wert. Ich habe viel über die Kulturrelativität meiner Konzepte gelernt, und wie der Gemeinschaftskompass auch von unserer im Überfluss lebenden und auf Selbstverwirklichung ausgerichteten Welt geprägt ist. Und ich habe doch das Gefühl, dass ich auch mit meinen Erfahrungen dort etwas geben konnte. Ich bin gespannt, was von den Kontakten wirklich umgesetzt wird!